Die Maetresse des Kaisers
Blättern. Neu war ihr, dass ein bitterer Saft aus Weidenrinde Schmerz betäubte und Gelber Enzian gegen Fieber half. Sie erinnerte sich an den Schlafschwamm, mit dem Karim ihr Konstanzes Geburt erleichtert hatte. Er enthielt unter anderem Bilsenkraut, das eine ebenso schmerzstillende Wirkung hatte wie ein Saft aus Schlafmohn. Beide Pflanzen mussten exakt dosiert werden, sonst litt der Patient unter Trugbildern und Alpträumen. Und durch ihre Arbeit in der Schreibstube war ihr jetzt sogar ein Mittel namens Theriak bekannt, das Enzian, Anis, Mohnsaft, Petersilie, Safran, Ingwer, Zimt und Myrrhe enthielt und mit Honig angerührt wurde, bis es eine feste Masse ergab. Daraus wurden mandelgroße Stücke geformt, die die Kranken dann in Wein aufgelöst bekamen.
Karim wäre stolz auf mich, dachte sie, denn wenn sie so weitermachte, würde sie noch eine passable Heilkundige werden.
Das Buch, das ihr Clara von Siena anvertraut hatte, war eine Kostbarkeit und stammte von einer berühmten Äbtissin aus Deutschland, die vor rund fünfzig Jahren gestorben war. Ihr Name war Hildegard von Bingen, und Bianca entsann sich, dass Friedrich die Äbtissin häufiger erwähnt hatte. Sein Großvater, Kaiser Barbarossa, hatte Hildegard von Bingen zu seiner Beraterin in theologischen, philosophischen und medizinischen Fragen gemacht und sie oft in der Pfalz Ingelheim empfangen. Friedrich unterstützte den Antrag, dass Hildegard von Papst Gregor heiliggesprochen werden sollte, doch der Papst hatte bislang noch nicht darüber entschieden.
Biancas Hände hatten vor Aufregung gezittert, als Clara von Siena ihr das Buch überreichte, und sie hatte kaum gewagt, es aufzuschlagen. Es hieß
Causae et Curae
, war auf Latein geschrieben, und da Bianca diese Sprache ebenso beherrschte wie das Italienische, übersetzte sie den Titel mit
Ursachen und Heilungen
. Es ging um die Entstehung und die Behandlung verschiedenster Krankheiten, und Bianca war von der Lektüre derart gefesselt, dass sie darüber manchmal ihre eigentlich Aufgabe, nämlich die Abschrift des Textes, vergaß. Auch saß sie oft zu lange bei Kerzenlicht oder dem Schein einer Öllampe über den Seiten, so dass ihr nachts der Kopf schmerzte. Aber sie fieberte jeder neuen Seite entgegen und begriff zum ersten Mal die Faszination des Wissens. Auch Friedrichs geradezu besessenen Forschergeist konnte sie jetzt besser verstehen, selbst wenn sie immer noch über die dänischen Hölzer lächeln musste.
Der Alltag im Kloster mit seinen festen Regeln und immer wiederkehrenden Ritualen tat ihr gut. Er brachte Ruhe und Frieden in ihr Leben, und sie spürte, wie ihre Seele langsam heilte.
Heinrich von Passau und der Mann in Schwarz, die sie um die halbe Welt gehetzt hatten, waren tot und begraben. Lorenzo hatte die Gräber ausgehoben, und die Schwestern hatten ein Gebet gesprochen. Die Männer hatten ein christliches Begräbnis vielleicht nicht verdient, aber sie hatten es bekommen, und seitdem hatten weder Lorenzo noch Bianca die Männer jemals wieder erwähnt.
Auch Lorenzo erholte sich. Zwar würden ihn seine Narben an die Zeit der Sklaverei erinnern, solange er lebte, doch er hatte die Lust an menschlicher Gesellschaft wiedergefunden. Bianca mutmaßte, dass Konstanze einer der Gründe dafür war, denn die Unschuld des Kindes hatte das Eis in Lorenzos Seele zum Schmelzen gebracht und die immer freundlichen Schwestern ihm den Glauben an das Gute im Menschen zurückgegeben.
Bianca konzentrierte sich wieder auf das Werk der deutschen Äbtissin und nahm sich vor, mindestens noch ein, zwei Seiten abzuschreiben. Doch heute schienen ihre Gedanken ständig auf Reisen zu gehen, und sie ertappte sich bei einem Abstecher nach Gioia del Colle.
Dort hatte sie die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht, und obwohl sie versuchte ihre Gefühle unter strenger Kontrolle zu halten, spielte ihre Phantasie ihr immer wieder Streiche und nutzte jede Ablenkung für einen Ausflug in die Vergangenheit.
Bianca war deshalb dankbar und erleichtert, als Clara von Siena die Schreibstube betrat und sich zu ihr setzte.
»Das Licht ist zu schlecht, du wirst dir die Augen verderben«, warnte sie Bianca, die selbst einsah, dass sie eine Pause und vor allem frische Luft brauchte.
»Dieses Buch ist mehr wert als Gold und Juwelen«, sagte sie nachdenklich. »Was geschieht mit ihm, wenn wir es kopiert haben?«
»Wir schicken es zurück«, antwortete die Äbtissin. »Es stammt aus dem Kloster Rupertsberg. Hildegard hat das
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