Die Maetresse des Kaisers
Sklaven verkauft. Die orientalischen Herrscher waren Bewunderer und Befürworter einer großartigen und imposanten Architektur und brauchten ständig Nachschub an Arbeitern für ihre ehrgeizigen Projekte. Riesige Steinquader mussten geschlagen und transportiert werden, Hunderte von Menschen waren nötig, um auch nur die Grundmauern einer neuen Moschee oder eines Palastes zu errichten. Für die Ritter, die zu Sklaven wurden, bedeutete dies nicht nur den Verlust ihrer Freiheit und unmenschliche Anstrengungen auf den Baustellen der Fürsten des Morgenlands, sie hatten auch so gut wie keine Chance, den Lagern zu entfliehen.
Die wertvollen Arbeitskräfte wurden gut bewacht und sogar entsprechend verpflegt, ließen ihre Kräfte jedoch nach, war ihnen ein schneller Tod sicher. Sklaven, das hatten die Ritter den Pilgern zugeraunt, hatten kein eigenes Leben mehr. Arbeitstiere – mehr waren sie nicht.
Da Pilger in der Regel nicht so kräftig waren, lohnte es sich nicht, sie auf dem Sklavenmarkt anzubieten. Mit der Entscheidung, im Heiligen Land Erlösung zu finden, hatten sie ihren Tod in Kauf genommen, und ein Sarazene hielt es für unter seiner Würde, einen Pilger zum Gefangenen zu machen. Ein schneller Hieb mit dem Schwert – und die scharfe Damaszener Klinge trennte den Kopf vom Körper.
Die Pilger auf der Clara hatten mit Schaudern den Schilderungen entsetzlicher Greuel zugehört. Bianca hatte nicht gewagt, danach zu fragen, was mit einer Frau geschehen würde, denn an Bord des Schiffes befand sich keine, und ihr selbst war es bis jetzt gelungen, ihr wahres Geschlecht zu verbergen.
Doch welches Schicksal würde ihr drohen, wenn sie verletzt war oder in Gefangenschaft geriet? Ihre Tarnung wäre nicht länger aufrechtzuerhalten, die Täuschung entlarvt und ihr Weg als Pilger beendet. Sie machte sich keine Illusionen, dass die Sarazenen sie gütig behandeln würden, bloß weil sie eine Frau war. Die Vorstellung, als Sklavin verkauft zu werden, schien ihr schlimmer als der Tod. Und so hoffte sie, dass der Engel, der ihr bislang Kraft gegeben hatte, ihr auch die Stärke verleihen würde, in der allerhöchsten Not ihrem Leben selbst ein Ende zu bereiten.
Zypern, das hatte sie von den Rittern erfahren, gehörte nicht zum Einflussbereich der orientalischen Fürsten, sondern war seit seiner Eroberung durch den englischen König Richard Löwenherz eine christliche Bastion und ein Brückenkopf auf dem Weg ins Heilige Land von großer strategischer Bedeutung.
Die Nachkommen Guidos von Lusignan herrschten auf der Insel und gewährten all denen Zuflucht, die den Sarazenen in Palästina entkommen waren. Ritter hatten dort Land als Lehen erhalten, sich niedergelassen und Familien gegründet. Handwerker übten ihr Gewerbe aus und sahen auf Zypern eine weit rosigere Zukunft als in ihren jeweiligen Heimatländern. So waren in kurzer Zeit große blühende Städte entstanden, und Bianca fragte sich, ob es vielleicht weiter im Hinterland der Insel Seen und Flüsse gab und Zypern doch nicht so karg und trocken war, wie es von See aus den Anschein hatte.
Die Tatsache, dass sich viele Menschen trotz der muslimischen Bedrohung aus Syrien und Ägypten auf Zypern angesiedelt hatten, beruhigte sie etwas. So unsicher, wie sie zunächst befürchtet hatte, konnte die Lage der Insel demnach nicht sein. Offensichtlich hatte keiner der Sultane Interesse, die Christen auf der Insel anzugreifen und zu vertreiben. Bianca nahm sich vor, Zypern mehr als einen flüchtigen Blick zu gönnen.
»Wir werden bald anlegen«, sagte jemand hinter ihr, und als sich Bianca umdrehte, blickte sie in Lorenzos dunkle Augen. Seine Miene wirkte finster, seine Stimme klang ernst. »Was tun wir, wenn das Schiff festgemacht hat?«
»Wir gehen an Land«, antwortete sie leichthin.
»Aber was ist mit Eurem Plan?«, wisperte Lorenzo und schaute sich vorsichtig um, ob auch niemand seine Worte gehört haben konnte.
»Was hältst du von den drei Engländern?«, fragte Bianca statt einer Antwort zurück. »Die drei Ritter, die unsere Sprache nicht sprechen. Einer von ihnen nennt sich Robert.«
»Und?«
»Ich denke, wir sollten sie nicht aus den Augen verlieren.«
»Ihr meint …«
»Genau. Hast du ihre Schwerter gesehen? Sie sind schmaler und kürzer als die der anderen Männer. Und da die drei von weit herkommen, haben sie bestimmt auch genügend Goldstücke bei sich.«
»Gräfin«, zischte Lorenzo.
»Ich weiß, Lorenzo, es ist eine ziemlich feige Tat, die wir da
Weitere Kostenlose Bücher