Die Maetresse des Kaisers
davonzukommen, aufgegeben. Jetzt aber keimte ein winziger Trieb ihres gewohnten Lebensmutes. Könnte es sein, überlegte sie, dass die englischen Ritter oder zumindest einer von ihnen davor zurückschreckten, eine Frau zu töten? In diesem Fall würde ihr ausgerechnet ihre Schutzlosigkeit weiterhelfen.
Sie sprach einen der Männer direkt an. »Hört, wir sind keine Diebe und Lügner, sondern gottesfürchtige Pilger auf dem Weg ins Heilige Land. Was wir getan haben, war nicht recht, und wir bitten Euch in aller Demut um Verzeihung. Glaubt uns, wir wollten niemandem etwas Böses tun. Wir hatten Hunger, das war alles.«
Der Ritter streckte die Hand aus und ergriff eine Strähne von Biancas langem Haar.
»Du bist eine schöne Frau, selbst in diesen Lumpen. Eine sehr schöne Frau. Und deine Worte sind klug gewählt. Wer bist du?«
»Mein Name ist Bianca, und das ist mein Bruder Lorenzo. Wir sind einfache Leute. Tuchmacher.«
»Was wolltet ihr auf der Clara?«
»Buße tun, mein Herr. Wir haben Gott, dem allmächtigen Vater, eine Pilgerfahrt ins Heilige Land gelobt, wenn er meinen Mann, auch er ein Tuchmacher, wieder genesen lässt.«
»So, so«, murmelte der Ritter, und die Skepsis in seinem Blick ließ Bianca an der Überzeugungskraft ihrer Worte zweifeln.
»Und dieser Tuchmacher, der dein Mann und Herr ist, lässt es zu, dass sich seine schöne junge Frau auf eine so gefahrvolle Reise begibt?«, fragte er ungläubig.
»Er hatte keine Wahl, mein Herr«, antwortete Bianca bescheiden. »Als wir aufbrachen, lag er in tiefem Schlaf.«
»Hast du da etwa auch nachgeholfen, meine Teure?« Er deutete auf Robert, den dritten Ritter, der im Traum selig lächelte und leise schnarchte.
Bianca sah zu Boden. »Nein, Herr.«
»Nun denn. Dein Mann ist nicht hier und dein Bruder dort«, er betonte das Wort Bruder, »fällt zurzeit als Beschützer aus. Also gehörst du mir.«
Bianca erschrak. Sie hatte gehofft, der Engländer sei in der Kunst der Höflichkeit unterwiesen worden und werde die ausweglose Situation einer schwachen Frau nicht ausnutzen. Närrin, schalt sie sich. Er hält dich für eine Frau aus dem Volk und nicht für eine vornehme Dame. Außerdem für eine Diebin, und ihre verwandtschaftliche Beziehung zu Lorenzo schien er auch nicht zu glauben. Warum also sollte er sie schonen?
»Was habt Ihr vor?«, flüsterte Bianca.
»Auch unser Münzbeutel ist so gut wie leer, schöne Diebin. Es ist euch beiden vielleicht noch nicht aufgefallen, aber ihr seid nicht die Einzigen, die dringend Geld brauchen. Und wie kommt man in dieser Gegend am besten an wertvolle Goldstücke?«
»Ihr wolltet sie stehlen?«, flüsterte Bianca fassungslos. In den Augen des Ritters las sie Verachtung.
»Wir sind nicht wie euresgleichen. Ein Ritter stiehlt nicht. Nein, wir sind keine Diebe. Wir werden etwas verkaufen.«
Lorenzo hob den Kopf wie ein Wild, das den Jäger witterte, war aber noch zu benommen, um aufzustehen.
»Verkaufen«, wiederholte Bianca. »Aber …«
Sie blickte sich suchend um, konnte jedoch nichts entdecken, was von großem Wert gewesen wäre.
»Ich sehe«, half ihr der Ritter, »du hältst Ausschau nach den Waren, die wir feilbieten wollen. Die Situation ist nicht ohne Komik. Wenn ich gewusst hätte, dass wir in diesem Zimmer so charmante und amüsante Gesellschaft finden, wären wir eher zur Tür hineingekommen. Das kannst du mir glauben.«
Er warf seinem Landsmann, der während der gesamten Unterhaltung Lorenzo nicht aus den Augen gelassen hatte, ein paar Worte in ihrer Muttersprache zu, und beide brachen angesichts Biancas ratloser Miene in lautes Gelächter aus.
»Offenbar kann sich deine Klugheit nicht mit deiner Schönheit messen. Macht nichts, es reicht, wenn du liebreizend bist. Auch deine Figur kann sich sehen lassen. Vielleicht ein bisschen mager, aber von guter Statur.«
Er riss Bianca zu sich heran und legte einen Arm um ihre Hüfte. Instinktiv schlug sie nach ihm und drehte sich mit einer geschickten Bewegung aus seiner Umklammerung.
»Fass mich nicht an«, herrschte sie, ganz die Gräfin Lancia, den Engländer an.
»He, he, ganz ruhig, meine Hübsche. Hier wird dir nichts geschehen. Wir werden doch unseren kostbarsten Besitz nicht beschädigen.«
»Ich gehöre niemandem«, fauchte Bianca. »Nur mir selbst.«
Wieder sagte er etwas zu dem anderen Ritter, der daraufhin erneut in einen Anfall ungezügelter Heiterkeit ausbrach.
»Du gefällst mir«, sagte der Ritter. »Du gefällst mir sogar sehr.
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