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Die Maetresse des Kaisers

Die Maetresse des Kaisers

Titel: Die Maetresse des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Stein
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hätte sie schon morgen all ihren goldenen Schmuck ohne Bedauern zurückgelassen, um die Welt außerhalb der Haremsmauern kennenzulernen. Ein Wunsch, der ihr vermutlich niemals erfüllt werden würde, denn an den Wächtern vorbei in die Freiheit zu spazieren war absolut undenkbar.
    Die Mauern, hinter denen Zamira lebte, erhoben sich dreimal so hoch, wie sie selbst groß war, und hatten nicht ein einziges Fenster oder auch nur einen Spalt, durch den sie einen Blick in die Welt, die ihr verboten war, hätte werfen können. Es existierte nur ein Tor, und das wiederum führte nicht in die Freiheit, sondern in eine Halle, in der die Verschnittenen schliefen, Männer, denen man die Lust auf den Körper einer Frau für immer genommen hatte.
    Und selbst wenn sie ungehindert die Halle der Eunuchen durchqueren könnte, wäre sie doch nur wieder in einer weiteren Halle mit weiteren Wachen. Lauter kräftige Männer mit scharfen Schwertern und dem Befehl des Sultans, jeden auf der Stelle zu töten, der diesen Gang ohne Erlaubnis betrat. Kein vollständiger Mann außer dem Sultan selbst durfte sich in den inneren Gemächern des Harems aufhalten, und keine Frau durfte sie verlassen.
    Die Wohnräume der Frauen waren zwar mit dem Palast verbunden, doch sorgfältiger bewacht als alle Schätze des Sultans. Selbst vor der dicken und abweisenden Mauer, die als einzige der Stadt zugewandt war, durfte niemand stehenbleiben. Auch Vorübergehende, die in unmittelbarer Nähe der Haremsmauern ihre Schritte verlangsamten – und sei es nur durch einen Zufall –, wurden auf der Stelle von den Wächtern ermahnt, eiligst das Weite zu suchen.
    Da Zamira eine Frau mit vielfältigen Interessen und einer gewissen Bildung war, kannte sie die Stelle des Korans auswendig, wo die Frauen angewiesen werden, sich sittsam zu verhalten: »Und sprich zu den gläubigen Frauen«, heißt es im 31. Vers der 24. Sure, »dass sie ihre Blicke niederschlagen und ihre Scham hüten und dass sie nicht ihre Reize zur Schau tragen, es sei denn, was außen ist, und dass sie ihren Schleier über ihren Busen schlagen und ihre Reize nur ihrem Ehegatten zeigen oder ihren Vätern, oder den Vätern ihrer Ehegatten oder ihren Söhnen, oder den Söhnen ihrer Ehegatten, oder ihren Brüdern oder den Söhnen ihrer Brüder, oder den Söhnen ihrer Schwestern, oder ihren Frauen oder denen, die ihre Rechte besitzt, oder ihren Dienern, die keinen Trieb haben, oder Kindern, welche die Blöße der Frauen nicht beachten.«
    Zamira nahm sich eine weitere Dattel und überlegte, wie sie die Zeit bis zum Eintreffen des Sultans verbringen könnte. Viele Möglichkeiten hatte sie nicht. Ein zweites Bad würde sie müde werden lassen, fürchtete sie. Ihr Haar war in der Mitte gescheitelt und wurde über den Schläfen von Kämmen gehalten, die über und über mit Edelsteinen besetzt waren. Sie trug einen langen Rock, der sich sündhaft an ihren Körper schmiegte und die Form ihrer Beine erkennen ließ. Dazu ein reich besticktes, tief ausgeschnittenes Mieder, das die Rundungen ihres Busens verheißungsvoll enthüllte. Um den Hals war eine Kette aus Gold geschlungen, jeden Finger ihrer schmalen Hände schmückte ein Ring, und an den Füßen hatte sie zierliche Pantoffeln. Zamira war wie alle Frauen im Harem des Sultans überaus eitel, denn in der streng abgeschirmten Gesellschaft, in der sie lebte, zählte vor allem eins – Schönheit.
    Eine Frau, die ihre Schönheit mit den Jahren einbüßte und die Lust des Sultans nicht mehr entfachen konnte, musste sich damit abfinden, die neuen Favoritinnen zu bedienen. Hatte sie dem Sultan Kinder geboren, so war ihr auch weiterhin der Respekt ihres einstigen Geliebten gewiss – mehr jedoch nicht.
    Der Einfluss einer Kadine oder einer Odaliske stieg und sank mit ihrer Anmut. Zamira hatte das traurige Schicksal einer der Frauen, die einst das Bett des Herrschers geteilt hatten, dann aber ihren Platz einer jüngeren und hübscheren überlassen mussten, selbst mit angesehen. Die ehemalige Kadine, früher eine strahlende Schönheit, verfiel vor den Augen des gesamten Harems, versank in Melancholie und starb nach einem Jahr als gebrochene Frau mit ergrautem Haar. Zamira hatte sich geschworen, dass ihr ein ähnliches Los erspart bleiben würde. Niemals würde sie es zulassen, dass Kummer und Gram von ihr Besitz ergriffen und das, was von ihrem Leben übrigblieb, zerstörten. Ehrgeizig, wie sie war, hatte sie andere Pläne und maß ihren Wert für den Sultan nicht

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