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Die Maetresse des Kaisers

Die Maetresse des Kaisers

Titel: Die Maetresse des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Stein
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würde, in seiner Wut auf Bianca und ihn sogar Rache an Unbeteiligten zu nehmen. Nein, nicht die Burg, er selbst und natürlich Bianca waren das Ziel der Vergeltung, und so hoffte er, durch seine Flucht nach Norden die Daheimgebliebenen aus der Schusslinie von Enzios Pfeilen genommen zu haben.
    Je höher sie gestiegen waren, umso kälter war es geworden, und der Schnee, der ihm ins Gesicht stob, fror an seinen Augenbrauen fest. Das Wolltuch um Mund und Nase behinderte ihn beim Atmen, aber sobald er es lockerte, fuhr der Wind über seine Wangen und schien seine Haut in Eis zu verwandeln. Seine Hände waren steif vor Kälte, seine Füße spürte er kaum noch, und seine Beine waren schwer, als hinge eine Eisenkugel an seinen Fußgelenken.
    Die Pferde schnaubten nervös, ihr Atem türmte sich in dichten Dampfwolken vor ihren Nüstern, und in ihren Mähnen sammelten sich dicke Klumpen aus gefrorenem Schnee. Niemand sprach ein Wort, jeder sparte das bisschen Kraft, das ihm noch blieb, für den Aufstieg. Zwei der Führer hatten sich ans Ende der Gruppe zurückfallen lassen und zählten Mensch und Tier. Vor allem die Kutscher der Planwagen und Karren brauchten Hilfe. Schon längst hatten sie ihre Kutschböcke verlassen und zerrten die Pferde an Zügeln und Geschirr vorwärts.
    Manfred konzentrierte sich auf seine Schritte und sah zu spät, dass sein Vordermann strauchelte und in den Schnee sank. Sein Rappe, selbst erschöpft und blind vor Schnee, reagierte langsamer als sonst und versetzte dem Mann versehentlich einen Tritt mit dem linken Vorderhuf. Als Manfred sich zu ihm hinunterbeugte, hörte er ein Stöhnen.
    »Steh auf!«, schrie er gegen den tobenden Sturm. »Du wirst erfrieren, wenn du liegenbleibst.«
    Der Mann regte sich, war aber zu schwach, um zu antworten. Der Zug war ins Stocken gekommen, und unmittelbar neben Manfred stand plötzlich einer der Führer.
    »Was ist?«, rief er ihm zu.
    »Ich weiß nicht. Er ist einfach zusammengebrochen.«
    »Lass ihn liegen.«
    »Was?« Manfred blinzelte gegen die Flocken.
    »Lass ihn liegen.«
    »Aber er wird erfrieren.«
    »Wir werden alle erfrieren, wenn wir nicht weitergehen.«
    Manfred zögerte. Einen wehrlosen Menschen in dieser Schneehölle zurücklassen? Auch wenn er in seiner Unbeherrschtheit früher andere oft nachlässig, wenn nicht sogar grausam behandelt hatte, war es nicht seine Art, einen Verletzten kaltherzig aufzugeben.
    »Hilf mir!«, herrschte er den Führer an.
    »Was soll das? Ich sagte, er bleibt zurück.«
    »Und ich sage, er kommt mit. Hilf mir.«
    Manfred zerrte den stöhnenden Mann aus dem Schnee und bedeutete dem Führer, den Verletzten gemeinsam quer über den Sattel seines Rappen zu legen. Der Führer schüttelte den Kopf, griff dann aber doch zu, und zusammen wuchteten sie den Mann auf Manfreds Pferd.
    »Du wirst dein Pferd umbringen.«
    »Das lass meine Sorge sein«, brüllte Manfred, der seinen Rapphengst gut genug kannte, um dessen Kraft zu vertrauen.
    »Weiter«, rief der Führer den Nachfolgenden zu, und langsam setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung.
    Manfred fasste sein Pferd am Zügel, als er eine schwache Berührung an seinem Arm spürte.
    »Schon gut«, rief er dem Mann, der wie ein Strohsack über dem Sattel hing, zu. »Aber noch sind wir nicht in Sicherheit.«
    Schweigend kämpften sie sich weiter den Berg hinauf, und nur das Heulen des Sturms begleitete sie.
    Manfred fühlte sich zu müde, um zu denken. Er setzte einen Fuß vor den anderen, aber er wusste nicht mehr, wie lange sie schon durch den Schneesturm zogen. Die Kälte war in seinen Körper gekrochen und hatte jede Erinnerung gelöscht. Sein Kopf schmerzte, sein Atem ging rasselnd. Er war kein gottesfürchtiger Mann und hatte nie Trost im Gebet gefunden, doch jetzt sehnte er sich nach göttlichem Beistand. Er fühlte sich klein und hilflos angesichts einer Natur, die sich gegen die Menschen verschworen hatte.
    »Licht«, rief plötzlich jemand. »Da ist Licht.«
    Auch Manfred erblickte einen schwachen Schimmer und hoffte inständig, dass es sich nicht um ein Bild ihrer Phantasie handelte. Aber je näher sie dem Licht kamen, desto heller leuchtete es. Und dann sahen sie weitere Lichter und erkannten, dass sie das Bergdorf am Alpenpass erreicht hatten.
    »Wir sind da«, jubelte er. »Wir haben es geschafft.« Er rüttelte an der Schulter des Mannes, auf dessen Rücken sich eine dicke Schicht Schnee gesammelt hatte. »He, du. Wach auf. Gleich wird dir wärmer.«
    Der Mann

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