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Die Magd von Fairbourne Hall

Die Magd von Fairbourne Hall

Titel: Die Magd von Fairbourne Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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wurden groß. Schützend schlang sie den Arm um das Kind, das ihr am nächsten stand.
    Draußen vor der Tür liefen Schritte vorbei.
    Die Frauen sahen sich an und lauschten.
    Die Schritte kamen wieder zurück, diesmal langsamer. Ein Mann brüllte: »Ich finde dich! Und wenn ich dich finde, bringʼ ich dich um!«

    In dieser Nacht teilte Margaret die schmale Pritsche mit Pegs Sohn. Sie schlief nicht gut. Sie dachte an die Zeit, als Gilbert immer zu ihr ins Bett gekommen war, um sich eine Geschichte erzählen zu lassen. Dabei schlief er regelmäßig ein und stahl ihr im Schlaf die Bettdecke.
    Am Morgen saß Margaret mit Pegs Familie an dem kleinen Tisch. Gemeinsam verzehrten sie in bedrücktem Schweigen ein bescheidenes Frühstück. Selbst die Kinder waren unnatürlich still. Joan und Peg, die ihr gegenübersaßen, wechselten einen besorgten Blick, den Margaret ohne Schwierigkeiten zu deuten wusste. Sie war hier nicht mehr willkommen.
    Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Joan kam ihr zuvor. »Ich habe Angst, Mi- Nora. Nach dem Vorfall von gestern Abend wäre es das Beste, wenn du verschwindest. Wenn die Männer dich sehen und herausfinden, wo du …«
    Margaret nickte, obwohl ihr vor Angst ganz kalt geworden war. »Ich verstehe schon.«
    »Und zwar so schnell wie möglich«, fügte Peg hinzu. »Solange die Kerle noch ihren Rausch ausschlafen.«
    »Ich weiß, dass du es gut gemeint hast«, gab Joan zu. »Aber ich kann nicht zulassen, dass du meine Schwester und ihre Familie in Gefahr bringst.«
    Margaret nickte erneut und wiederholte steif: »Ich verstehe schon.« Sie stand auf. Ihre Beine waren ganz schwach und zitterig. Wo sollte sie hingehen? Und was, wenn die Männer draußen auf sie warteten?
    Sie nahm ihre Haube vom Haken und band sie ordentlich unter ihrem Kinn zu. Dann holte sie ihre Reisetasche, verabschiedete sich von den Kindern und drückte Peg eine ihrer wenigen Münzen in die Hand. »Für deine Gastfreundschaft«, murmelte sie und öffnete die Tür.
    »Warte«, rief Joan ihr nach. »Ich komme mit.«
    Peg wollte protestieren, doch Joan beharrte darauf, dass sie sich schließlich Arbeit suchen müsse. »Und hier in der Gegend gibt es offenbar keine Stellungen.«
    Die Dankbarkeit, die Margaret daraufhin empfand, beschämte und demütigte sie. Sie vermutete, dass es nur ein Vorwand war, doch sie war nicht mutig genug, Joan zu sagen, dass sie sehr gut allein zurechtkam, denn das stimmte nicht. Nach dem Beinahezusammenstoß mit den Männern hatte sie furchtbare Angst, allein hinauszugehen.
    »In Ordnung«, sagte sie; das Wort danke blieb ihr in der Kehle stecken.
    Joan umarmte ihre Nichte und ihre Neffen und schärfte Peg ein, niemand zu sagen, dass sie hier gewesen waren – eine Warnung, die diese schon allein wegen der drei glücklosen Räuber sicherlich beherzigen würde.
    Und so nahmen Joan und Margaret abermals ihren Koffer und ihre Reisetasche und gingen die Treppe hinunter. Sie spähten hinter der zersplitterten Tür hervor und als sie niemand sahen, traten sie hinaus auf die Straße. Dann gingen sie in raschem Tempo den Fish Street Hill hinunter und bogen so schnell wie möglich ab, um nicht von einem Frühaufsteher, der zufällig aus dem Fenster blickte, gesehen zu werden.
    Erst als sie mehrere Blocks entfernt waren, mäßigte Joan ihren Schritt. Die beiden Frauen schlugen den Weg zur Themse und zur London Bridge ein. Auf dem breiten Fluss wimmelte es von Booten, Fischerbooten, die mitten auf dem Fluss oder am Ufer vertäut waren, um den Morgenfang abzuladen; zwischen ihnen fuhren Segelboote in allen Größen.
    Auf der anderen Seite der Brücke passierten sie die Southwark Cathedral, dann wandten sie sich nach links in die Borough High Street. Dort sah sich Margaret der dreistöckigen Herberge einer Poststation gegenüber. Joan erklärte ihr, dass viele Postkutschen und auch die Kutsche der Royal Mail täglich vom Gasthaus The George aus abfuhren.
    Hinter dem Geländer der Galerie im ersten Stock ging ein dunkelhäutiger Träger vorbei, der einen Ballen Tuch geschultert hatte; ein vornehm gekleideter Gentleman lächelte zu ihnen hinunter und tippte sich an den Hut. Auf der oberen Galerie warf eine Frau in einem tief ausgeschnittenen Nachthemd einem Seemann, der gerade die Außentreppe hinunterging, eine Kusshand zu.
    Im Hof des Gasthauses summte es vor Betriebsamkeit. Hunde bellten. Pferde schnaubten und tänzelten. Eine große Kutsche mit roten Rädern wurde für die Abfahrt vorbereitet.

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