Die Magier 01. Gefährten des Lichts - Six héritiers (Le Secret de Ji, Bd. 1)
Teich.
»Hört mal«, sagte Léti lächelnd und legte den Finger an die Lippen.
Sie vernahm ein Geräusch. Da war noch etwas außer den Stimmen ihrer Gefährten. Was konnte das sein?
Vogelgezwitscher. Sie konnte die andere Welt hören, wenn auch nur leise!
Die anderen lächelten ihr zu. Auch sie hörten es.
Rey trat ganz nah an die Erscheinung heran und zog einen Dolch aus der Lederscheide an seiner Wade.
»Tu das nicht«, flehte Bowbaq.
Rey stellte sich taub und schob die Klinge langsam in die wässrige Oberfläche. Als er keinen Widerstand spürte, stieß er die Waffe bis zum Griff hinein. Nichts geschah, und so zog er sie wieder heraus und stach nach einer Blume, die dem Anschein nach unmittelbar vor seinen Füßen wuchs.
Enttäuscht hielt er inne. Es war doch nur ein Trugbild.
Léti wollte nicht länger tatenlos zusehen. Sie trat neben Rey, starrte auf die Landschaft und holte tief Luft.
»Léti?«, rief Yan leise.
Was auch immer sie vorhatte, er zweifelte daran, dass die Idee gut war.
Plötzlich trat das Mädchen einen großen Schritt vor. Eigentlich hätte sie auf der Wiese landen müssen, doch für die anderen war sie verschwunden!
Gleichzeitig ertönte ein lautes Klatschen, gefolgt von einem leiseren Plätschern. Einen Augenblick später tauchte Léti wieder aus der Vision auf. Sie war bis zu den Knien nass.
»Du hättest mich warnen können«, fuhr sie ihre Tante an.
»Ich versichere dir, dass mir nicht klar war, was du vorhattest«, sagte Corenn ernst.
»Von der anderen Seite ist das Bild bestimmt dunkel«, verkündete Rey. »Es ist doch nichts als eine Täuschung, ein dummer Zaubertrick.«
Er trat nun seinerseits vor, verschwand in der Vision und kehrte kurz darauf zurück. Sein Gesicht war ernst, und er schwieg. Dann war Yan an der Reihe.
Er hatte erwartet, irgendetwas zu spüren, doch das war nicht der Fall. Er ging los und starrte auf einen Punkt in der Landschaft. Im nächsten Moment erschien der Teil der Höhle vor ihm, der vorher von dem Bild verdeckt gewesen war.
Neugierig drehte er sich um. Er sah immer noch ein wunderschönes Tal, aber nicht mehr dasselbe. Genauer gesagt war es dasselbe, aber aus dem Blickwinkel, den man hätte, wenn man durch die Pforte getreten wäre und sich umgedreht hätte.
Langsam tauchte eine riesige Hand aus dem Himmel auf, bewegte sich kurz hin und her und verschwand dann wieder. Als Nächstes folgte ein Fuß, dann ein Bein, und dann Bowbaqs ganzer Körper.
Der Riese machte ein Gesicht wie ein staunendes, leicht verschrecktes Kind. Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Was diese Vision auch bedeutete, sie war schön. Und unwirklich.
Er hatte das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Als sähe er etwas, das nicht für seine Augen bestimmt war, als lüfte er ein Geheimnis. Und das erinnerte ihn schmerzlich an etwas aus seiner Vergangenheit, das er um jeden Preis vergessen wollte.
Er kehrte zurück auf die andere Seite und ließ Yan allein.
Die Landschaft sah so friedlich aus, so ruhig. Sie war umso schöner, da sie unerreichbar war. Als gäbe es sie gar nicht wirklich.
Und doch konnte er jede Einzelheit sehen, jeden Laut hören. Wenn er sich anstrengte, sah er sogar, wie ein leichter Wind durch die Blumen strich und ein Vogel am Himmel entlangflog.
Yan konzentrierte sich und streckte die Hand aus, um über die Blätter einer fremden, prächtigen Pflanze zu streichen, doch seine Finger griffen ins Leere. Das machte ihn trauriger, als er gedacht hätte.
Er richtete sich wieder auf und schickte sich gerade an, zu seinen Freunden zurückzukehren, deren Gelächter von der anderen Seite zu hören war, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung erhaschte.
Da war jemand im Tal.
»Kommt her, schnell! Das müsst ihr sehen!«
Die anderen folgten dem Ruf, und die Entdeckung verschlug ihnen die Sprache.
In zweihundert Schritt Entfernung - könnten sie die Wiese betreten - spazierte ein kleiner Junge durchs Gras und betrachtete den Himmel.
Er war vielleicht vier oder fünf Jahre alt und sah aus wie ein Bewohner der Oberen Königreiche. Aber ob er nun Lorelier, Itharer oder Rominer war oder woher er sonst stammen mochte, war nicht zu erkennen. Sein blondes Haar und sein nackter Körper verrieten nichts über seine Herkunft.
Léti winkte ihm unwillkürlich zu, bevor sie merkte, dass er nicht in ihre Richtung sah. Dann begann sie, laut nach ihm zu rufen.
Das Kind setzte sich in gut hundert Schritt Entfernung mit dem Rücken zu ihnen ins Gras.
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