Die Magier von Shannara 2 - Der Baum der Talismane
komplizierte Details herausarbeiten. Es kostete ihn unglaublich viel Zeit. Aber die Bilder waren so deutlich, und sein Gefühl verriet ihm stets, was er zu tun hatte, deshalb zögerte er nie. Und Zeit schien keine Rolle zu spielen. Es war, als hätte die Zeit angehalten und er könne sie in jedem Maße benutzen, das er für angemessen hielt, um seine Aufgabe zu erledigen.
Den ganzen Rest des Tages und bis in die Nacht hinein arbeitete er. Währenddessen aß er nicht und trank nicht. Er bewegte sich nicht fort von seinem Platz. Konzentriert reagierte er auf die ruhigen und fortdauernden Anweisungen des Baums. Von nichts ließ er sich ablenken; weder von Insekten, die über seine Haut krochen, noch vom Wind. Er befand sich in einer anderen Welt, einer anderen Zeit, in einem anderen Leben.
Es war tiefe Nacht, als er fertig war, der Mond war aufgegangen, und die Sterne prangten am Himmel. Ihr Licht drang in bleichen dünnen Strahlen durch das Blätterdach, um ihn herum herrschte tiefe, undurchdringliche Dunkelheit. Der Strom der Bilder endete, die Wurzeln zogen sich ins Erdreich zurück, und Pen saß allein in der Stille. Er öffnete die Augen und sah in seinen Schoß.
Der Dunkelstab lag in seinen Händen, zwei Schritt lang und aus grau und schwarz gesprenkeltem Holz, den gleichen Farben wie der Stamm des Tanequils, und er glänzte glatt auf eine Weise, die man bei frisch beschnitztem Holz eigentlich für unmöglich gehalten hätte. Ein kompliziertes Muster von Runen bedeckte die Oberflächen, seltsame Zeichen, die Pen nicht kannte und nicht zu lesen vermochte. Ins Mondlicht gedreht leuchteten sie, als brenne ein Feuer in ihnen. Pen spürte weiterhin die unverkennbare Wärme, die von dem Holz ausging, die starke und feste Lebenskraft des Tanequils. Der Junge öffnete die verkrampften, blutleeren Beine. Sein Mund war so ausgetrocknet, fast konnte er ihn nicht aufmachen. Pen brauchte einige Minuten, bis er genug Kraft gesammelt hatte, und erst dann stand er auf und humpelte auf den Tümpel zu, den Cinnaminson ihm mittags gezeigt hatte. Er nahm den Dunkelstab mit; er wusste, von nun an würde ihn der Stab überallhin begleiten. Langsam bekam er wieder Gefühl in den Beinen, und die Krämpfe lösten sich. Er lauschte nach Anzeichen von Leben, während er ging, doch stellte er keine fest. Er war allein.
Plötzlich fragte er sich, was wohl mit Cinnaminson passiert sei. Sie hatte ihm gesagt, sie würde bei Einbruch der Nacht zu ihm kommen. Das hatte sie ihm versprochen.
Er fand den Tümpel, ließ sich auf Hände und Knie nieder und trank. Das Wasser war kühl und süß, und er gewann ein wenig Kraft zurück. Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, stand er auf und schaute sich um.
Wo war Cinnaminson?
Niedergeschlagen seufzte er. Es gefiel ihm nicht, dass sie immer noch verschwunden war. Eigentlich mochte er es gar nicht, wenn sie nicht bei ihm war. Sie zu verlieren war schlimmer, als die Finger zu verlieren …
Plötzlich hielt er inne und erinnerte sich an das Gefühl der anderen Hand, die ihn geführt hatte, als er den Ast des Tanequils zum Dunkelstab geschnitzt hatte, diese Hand, die es ihm gestattet hatte, mit geschlossenen Augen blind zu arbeiten, diese Hand, auf die allein er sich verlassen hatte.
Ein Teil von dir für einen Teil von mir.
Eine fürchterliche Gewissheit erfüllte ihn, brutal und unnachgiebig, und er war so erschüttert, dass er es nicht laut aussprechen, sondern nur in Gedanken sagen konnte. Er dachte, er hätte begriffen. Hatte er jedoch nicht. Denn er hatte geglaubt, der Verlust seiner Finger würde genügen, um die Waagschalen auszugleichen. Hatte es nicht. Dazu war mehr erforderlich gewesen.
Cinnaminson.
Fünfundzwanzig
Shadea a'Ru stand am Fenster ihres Schlafzimmers und schaute von Paranors Türmen hinunter auf die bewaldete Landschaft. Die Sonne ging gerade auf, und die zerklüfteten Gipfel der Drachenzähne zeichneten sich als Silhouette vor dem sanften goldenen Leuchten ab, das einen warmen schwülen Sommertag verhieß.
Sie presste ärgerlich die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Für sie würde es kein wirklich guter Tag werden. Und für andere sogar ein schlechter.
Sie betrachtete die Nachricht, die sie in der Hand hielt, las die Worte auf dem Papier, dann sah sie wieder weg.
Idioten!
Beiläufig strich sie das kurze blonde Haar zurück und lockerte die Schultern. Die Muskeln waren steif und verspannt. Sie vermisste die Übungen und die Kämpfe, die den Mittelpunkt ihres
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