Die Magier von Tarronn (1) (German Edition)
noch gewaltiger aus. Bis zum Horizont nur sattblaues Wasser und ab und zu ein paar weiße Schaumkronen. „Jetzt kann ich endlich verstehen, warum es hier so ruhig ist“, sprach sie und wandte sich Hatik zu.
„Ich war damals, als ich nach Atla kam, genau so beeindruckt wie du. Ich möchte es auch manchmal nicht wahr haben, dass wir hier schleunigst weg müssen. Aber deine Mutter hat es in ihren Visionen gesehen, dass der Schwarze dieses Paradies zerstören wird. Es ist nur eine Frage der Zeit. Aber in einem Punkt müssen wir ihm auch dankbar sein – ohne ihn, würde es auch dich nicht geben. Er war der treibende Keil, weshalb sie nach Ägypten kamen. Das Schicksal geht eben immer wieder verschlungene Wege, aber genug davon – fangen wir an.“ Hatiks bernsteingelbe Augen leuchteten auf. Merit konzentrierte sich auf seine Worte.
Die Sonne hatte ihre Wanderung um die Insel fast beendet, als sich der Magische Rat langsam bei Solon einfand. Nur Merit und Hatik fehlten noch. Wie der letzte rote Schein am Horizont versank, standen die beiden so plötzlich, wie sie bei Neri verschwunden waren, bei Solon im Zimmer. Sie schauten sehr zufrieden drein.
„Und – kann wieder gefeiert werden?“ Talos war überaus neugierig.
Merit nickte. „Ich glaube, wenn Hatik etwas anpackt, dann kann immer ein Ergebnis begossen werden. Mit dem Schweben, das muss ich noch üben, aber etwas anderes klappt schon ganz gut.“ Sie zog eine filigrane steinerne Blume aus ihrem Beutel. Das Kleinod ging von Hand zu Hand. Sogar kleine Staubgefäße, wie beim Original, waren zu erkennen.
„Wie habt ihr das denn gemacht?“ Mara staunte über die kleinen Äderchen in den Blättern und Blütenkelchen.
„Nun, Merit kann mittels Gedanken aus Sand diese Kunstwerke erschaffen, ich habe sie dann mit Energie nur etwas verfestigt. Und außerdem“, er gab ihr ein Zeichen, „kann sie noch das …“
Merit hielt plötzlich die Blume in den Händen, die soeben noch bei der verblüfften Mara war.
„Na, das ist doch – andere Atlan schaffen das nie …“ Safi wusste gleich gar nicht, wie er es gebührend würdigen sollte. Er war sehr stolz auf seine Gefährtin. Auch die Magier waren sich einig, dass diese Leistung für den allerersten Unterricht großartig war. Mara hob ihren Becher und prostete Merit zu. Als sie ihn an die Lippen setzen wollte, hielt sie stattdessen wieder die niedliche Blume in der Hand und Merit zwinkerte ihr zu. „Sie soll dir gehören.“ Mara freute sich riesig. Sofort fädelte sie die Blume auf ihre Kette und nach einer Weile sprach sie: „Es ist, als hätte diese kleine Blume eine Seele. Sie strahlt Liebe und Wärme aus.“
„Dann ist das Werk doppelt gut gelungen“, sprach Hatik. „Merit hat sie so liebevoll geformt und so viel Seele hinein getan, dass mich alles gewundert hätte. Sie war nämlich von Anfang an für dich bestimmt.“
„Verräter.“ Merit drohte ihm scherzhaft mit dem Finger.
Hatik grinste harmlos. „Ehre, wem Ehre gebührt. Auch wenn du mir vielleicht jetzt eine Distel oder einen Kaktus formst.“ Hatik wollte noch etwas hinzusetzen, hielt aber inne und fasste sich an die Brust. Dann schien er zu lauschen. Besorgt beobachteten ihn die Freunde. Seine Hand krampfte sich um das Udjat zusammen, welches er immer unter dem Hemd trug. Niemand wagte, ein Wort zu sprechen. Als er es wieder losließ, sah er ziemlich verstört aus.
„Was ist passiert“, flüsterte Neri.
„Ich weiß es nicht. Das Udjat strömte auf einmal eine Todeskälte aus. Dann war mir, als ob jemand um Hilfe rief …“ Hatik ballte verzweifelt die Hände. „Ich habe Angst, dass Vater etwas zugestoßen ist. Seid nicht böse, aber ich muss jetzt allein sein.“ Er erhob sich und verließ mit hängendem Kopf das Haus. Seine Freunde blieben in gedrückter Stimmung zurück.
„Es muss ihn furchtbar getroffen haben, so habe ich ihn noch nie erlebt.“ Safi sah Neri erschrocken an.
Sie war blass geworden. „Ja, du hast Recht. Es ist das allererste Mal in seinem Leben, dass er keinen Rat mehr weiß.“
Hatik war einfach nur gelaufen, automatisch und ohne darüber nachzudenken, wohin. Er hob den Kopf. Die Luft roch nach Tang und Salz. Im Mondlicht erkannte er vor sich die Klippen der Steilküste. Mit dem Rücken an einen Felsen gelehnt, setzte er sich an die Abbruchkante und schaute zu den Sternen auf. Irgendwo da oben musste sein Vater sein. Sein Vater, der vielleicht in Not war, und er saß hier und konnte überhaupt nichts tun.
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