Die magische Höhle - Die geheime Kammer
getraut.“
Leonardo schüttelte den Kopf. „Einerseits hast du Recht“, erklärte er. „Aber andererseits darf ein Narr eigentlich immer aussprechen, was sonst keiner auszusprechen wagt. Das nennt man Narrenfreiheit. Niemand darf ihn dafür bestrafen. Einen Narren für seine Witze zu bestrafen, das ist ungefähr so unehrenhaft wi e …“
„Wie wenn man bei einem Turnier Gegner bestellt und sie dafür bezahlt, dass sie verlieren“, meinte Niklas. Leonardo nickte anerkennend.
„Tja, da hast du wohl den Nagel auf den Kopf getroffen. Vielleicht solltest du auch Hofnarr werden, da braucht man schlagfertige Leute!“ Niklas machte eine abwehrende Handbewegung. Hier lebten Leute, die gute Witze machten, viel zu gefährlich.
Gesänge und Geheimnisse
Der lästige Störenfried war weg und das Essen konnte weitergehen wie bisher. Nein, nicht wie bisher, es konnte sogar noch ausgelassener weitergehen. Jetzt, wo keiner mehr über ihre Tischsitten spotten konnte, kannten die Ritter erst recht keine Hemmungen mehr und schmatzten und schlürften und rülpsten und pupsten um die Wette. Julia wandte sich mit Grauen ab.
In beachtlicher Geschwindigkeit wurden die Platten und Teller geleert. Von dem ganzen gebratenen Schwein war bald nur noch das Skelett übrig. Heinrich spülte den letzten Bissen mit einem großen Schluck Wein hinunter und rülpste unglaublich laut. Das war anscheinend das Signal zum Ende des Abendessens, denn alle Gäste schoben ihre Teller von sich und lümmelten sich wohlig auf ihren hölzernen Sesseln.
Nach dem Essen folgte der Auftritt des Minnesängers. Ein blasser, dürrer Jüngling mit lockigen blonden Haaren betrat auf etwas wackligen Beinen die Bühne. Offensichtlich war er durch den Rauswurf des Hofnarren ziemlich eingeschüchtert. Künstler lebten hier anscheinend gefährlich.
Der Minnesänger machte eine zaghafte Verbeugung und fing an, seine Laute zu stimmen. Das dachte Julia zumindest. Aber was sie für das Stimmen gehalten hatte, gehörte bereits zu seinem Vortrag. Zu dem langweiligen Gezupfe auf seiner Laute begann er nun, mit hoher Fistelstimme ein unglaublich langweiliges Lied zu singen:
„Oh, holde Maid, ich möcht dir Blumen pflücken,
oh, holde Maid, oh welch’ Entzücken!“
Holde Maid! Damit konnte er unmöglich die Schnepfe mit dem Pfannkuchengesicht meinen, die neben Heinrich saß und die der Sänger ständig anhimmelte! Oder doch? Heinrichs Tochter Kunigunde strahlte jedenfalls über das ganze Gesicht.
„Die Ro-ho-ho-ho-sen in deinem
Ga-ha-ha-ha-ha-ha-rten,
sie blü-hü-hü-hü-hü-hen schon,
die za-ha-ha-ha-ha-ha-rten“
… säuselte der Sänger. Und in diesem Trott ging es endlos weiter.
Komischerweise waren die Festgäste begeistert von seinem öden Auftritt. Manche Zuschauer brachen sogar in Tränen aus. Vor allem die Burgfräulein, die von den Eingangsstufen zum Saal aus zuschauten. Bis auf Kunigunde durften sie an der Feier nicht teilnehmen. Aber ihr herzzerreißendes Schluchzen übertönte fast den jämmerlichen Gesang des blond gelockten Jünglings.
Wie Julia zu ihrer Verblüffung schnell klar wurde, weinten sie nicht etwa, weil sie das Lied so schrecklich fanden, sondern weil sie so ergriffen waren. Das Lied hatte zahllose Strophen und wollte kein Ende nehmen. Aber irgendwann hauchte der Minnesänger doch die letzte Zeile heraus und Niklas und Julia dachten schon, sie hätten es überstanden. Aber zu ihrem Entsetzen verlangte das begeisterte Publikum eine Zugabe. Der Minnesänger ließ sich nicht lange bitten und erfreute die Gesellschaft mit einem weiteren Lied. Es war zwar kaum zu glauben, aber dieses Lied war noch länger und noch langweiliger als das Erste.
Heinrich schien es auch nicht zu gefallen. Er saß nicht mehr auf seinem Platz. Anscheinend war er vor dem Gesang geflüchtet. Alle anderen aber blickten wie gebannt auf den Sänger und lauschten ergriffen.
„Das ist die Gelegenheit“, flüsterte Niklas seiner Schwester zu.
„Wofür?“, fragte Julia verständnislos. Niklas verdrehte die Augen.
„Ich dachte, wir wollen hier was rausfinden?“, meinte er. „Also, worauf warten wir dann noch? Oder hast du dich jetzt auch in den Sänger verliebt?“
Julia verzog verärgert das Gesicht. Das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen. Keiner bekam mit, wie sie sich vorsichtig aus dem Staub machten.
Sie folgten zunächst einem düsteren, nur von ein paar Fackeln erleuchteten Gang und gelangten zu den Wohnräumen der Burg.
„Hier werden wir wohl
Weitere Kostenlose Bücher