Die Malerin von Fontainebleau
unter anderen Umständen ein Grund zu großer Freude. So wie es steht, überschatten Sorgen das zu erwartende Ereignis. Gott hat uns mit einem Kind gesegnet. Wenn ich dich nur sehen könnte, in deinen Armen Trost fände, fiele es mir leichter, alles zu ertragen.
Armido schluckte. Ein Kind! Damit veränderte sich alles. Er musste sie heiraten, denn für sie bedeutete ein vaterloses Kind den Verlust ihrer Ehre. An seiner Liebe zu ihr bestand kein Zweifel, und sie wären schon längst die Ehe eingegangen, wäre seine Aufnahme in ihre Glaubensgemeinschaft nicht immer wieder gescheitert. Dazu kam seine Sorge um Luisa, denn als Vaudois war er de facto ein Ketzer, und ein zweites Mal würde Madame d’Étampes nicht im richtigen
Moment zu seiner Rettung erscheinen. Er hielt den Brief schräg, damit das Kaminfeuer ihm mehr Licht spendete:
Ich hätte dir nicht schreiben sollen, die anderen wollten es nicht, aber ich musste es dir sagen! Ich sehne mich nach dir! Hier in der Dauphiné wird es immer gefährlicher.
In den Alpentälern an der Grenze zu Savoyen und Italien lagen zahlreiche Dörfer, in denen seit Generationen Vaudois lebten. Auf italienischem Boden lebten vor allem im Piemont waldensische Gemeinschaften. Er schluckte und las weiter:
Jules war in Lyon und ist von dort nach Embrun gereist, weil unser Glaubensbruder, Estève Brun, inhaftiert wurde. Estèves Vergehen besteht einzig darin, dass er, als er von Reotier kam, eine lateinische Bibel und eine französische Übersetzung bei sich führte. Er wollte seine Lateinkenntnisse verbessern! Mit derartiger Strenge und Brutalität sind sie hier lange nicht gegen uns vorgegangen. Gott vergebe ihnen und möge uns die Kraft geben, dieses Unrecht zu ertragen! Das verschärfte Vorgehen der Franzosen gegen uns rührt von Vorgängen im Piemont. Dort haben sich einige unserer Brüder gegen die französischen Besatzer erhoben, und es kam zu Kampf handlungen. Estève Brun ist Student, und es ist sicher kein Zufall, dass ausgerechnet er von Soldaten aufgegriffen wurde. Jules und die anderen sind davon überzeugt, dass es hier oben Spitzel gibt, die für die Inquisition arbeiten. Es wird immer unerträglicher! Man weiß bald gar nicht mehr, wem man noch trauen kann! Es heißt, die Soldaten seien von den Spitzeln angeheuert worden. Außerdem geht das Gerücht, dass Kardinal Tournon Befehl gegeben habe, mit äußerster Schärfe gegen alle Ketzer vorzugehen. Wenn das stimmt, gnade uns Gott.
O Armido, was geschieht nur mit uns? Es kann nicht Gottes Wille sein, dass seine Kinder sich gegenseitig zerfleischen! Wir tun doch nichts Unrechtes! All die Jahre haben wir hier oben in der Abgeschiedenheit der Täler gelebt und unseren Glauben praktiziert, ohne dass es jemanden störte. Verzeih mir, dass ich nicht in Paris geblieben bin. Ich wünschte, ich wäre bei dir. Gott schütze dich und unser ungeborenes Kind!
Aleyd
Armido schluchzte. Sie trug sein Kind unter dem Herzen, und er war nicht bei ihr! Die Ketzerverfolgungen nahmen zu, und sie und Jules schwebten in unmittelbarer Gefahr. Ihre Angst sprach aus jeder Zeile. »Aleyd«, flüsterte er.
»Was hast du da? Weinst du?«
Der Duft von Veilchen stieg ihm in die Nase, und zarte Hände umschlangen seine Taille. »Josette!« Er hatte sie nicht kommen hören. »Kannst du nicht klopfen?«, sagte er verärgert und faltete den Brief zusammen.
»Oh, Monsieur hat Geheimnisse vor mir! Wir waren verabredet. Schon vergessen? Ist der Brief von deiner Geliebten?« Sie ließ ihn los und stellte sich vor ihn. Ihre Haare waren nur lose aufgesteckt und ringelten sich verführerisch bis auf ihr Dekolleté.
»Nein, von meiner Familie, und ich habe wirklich große Sorgen«, log er.
Blitzschnell schoss ihre Hand vor und entriss ihm den Brief. »Wenn er von deiner Familie ist, wird er auf Italienisch sein, und ich kann ihn nicht lesen. Aber …« Sie rannte hinter das Bett und entfaltete den Brief noch im Laufen. Die ersten Zeilen hatte sie bereits gelesen, als Armido sie erreicht hatte und ihr das Papier aus den Händen riss.
»Du mieser Schuft! Bastard! Sohn einer Soldatenhure …«
Die Flut ihrer wenig schmeichelhaften Bezeichnungen für ihn war endlos.
Bevor sie jedoch aus dem Zimmer rennen konnte, hatte er sich vor die Tür gestellt. »Jetzt hör mir doch zu, Josette. Beruhige dich!« Er schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht, dass sie erschrocken innehielt und ihn wütend anfunkelte. Dann stopfte er den Brief in sein Hemd und packte sie
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