Die Malerin von Fontainebleau
hatte Scibecs Worte gehört. »Eh, Italiker! Passt auf, sonst endet ihr wie der arme Piet. Der hat auch gotteslästerlich geschwätzt, und schon …« Er machte eine eindeutige Geste an seiner Kehle.
»Red kein dummes Zeug, Thiry. Piet hatte Spielschulden oder einen Liebeshandel. Wir befinden uns nicht in Spanien, wo sie dich für einen Fluch zur Befragung zerren und Frauen verbrennen, die Kräuter für die Suppe trocknen!«, meinte Scibec verächtlich.
Gemeinsam stiegen sie in den ersten Stock hinunter, wo in den königlichen Gemächern bereits reger Betrieb herrschte. In einem kleinen Raum blieb Thiry stehen. Zwei über und über mit Gips verschmierte Franzosen mühten sich auf einem wackeligen Gerüst stehend mit einem Gesims ab. Einer der beiden hielt eine Mittelschablone und wollte sie gerade ansetzen, um das Profil über den nassen Gips zu ziehen, als Thiry von unten brüllte: »Du Idiot! Was soll das werden?«
Die zwei Franzosen hielten inne, und einer erwiderte frech: »Was weißt du schon? Kümmer dich um deine Malerei.«
Der Konkurrenzkampf zwischen einheimischen und ausländischen Arbeitern und Künstlern war hart, vor allem, weil der König die Werke der Ausländer immer wieder als Vorbild pries. Obwohl Luisa Thiry nicht ausstehen konnte, pflichtete sie ihm hier bei.
»Seht ihr die Ecke nicht? Das Gesims läuft doch um die
gesamte Wand. Wenn ihr mit der Schablone zieht, kommt ihr nicht in die Ecke, und die einheitliche Oberfläche ist dahin. Ich kann auch Meister Primaticcio holen, der wird euch schon den Kopf waschen!« Wütend stapfte Thiry davon.
»Stimmt das, was der Niederländer sagt?«, fragte einer der Franzosen und kratzte sich am Kopf.
Luisa nickte. »Aber ja doch! Habt ihr denn keine Kopfschablone für das Gesims gebaut?«
Der andere kletterte herab. »Gestern, aber wir dachten, es geht auch so.« Er holte die speziell für Ecken gearbeitete Schablone, deren Holzprofil am rechten Ende des Schlittens angebracht war. Bei der Mittelschablone saß das Profil mittig, was es unmöglich machte, in die Ecken zu ziehen.
Luisa schüttelte den Kopf. In ihrer Werkstatt wäre so etwas nicht passiert. Alle Lehrlinge mussten in mehreren Prüfungen beweisen, dass sie genau wussten, wann man welche Schablone anlegte und wie diese anzufertigen waren. Es gab komplizierte Profile, vor allem für Gesimse mit Hohlkehlen, die Wand und Decke einbanden, und für diese mussten Eckschablonen gefertigt werden, die oben und an der Seite Profilausschnitte hatten. Sie musste an Pietro denken und verspürte einen leisen Stich. Wie sehr wünschte sie sich, er würde schreiben, was zu Hause vor sich ging.
Als sie Thiry mit Meister Primaticcio durch die Zimmerfluchten eilen sah, gab sie Scibec einen Stoß. »Lass uns gehen.«
Der Kunsttischler nickte. »Mein Bedarf an Thiry ist gedeckt.«
Die beiden gingen zielstrebig auf eine der schmalen Türen zu, die zu den Gängen für die Diener führten. Rasch liefen sie nun hinunter in die Keller- und Küchenräume, wo schon seit Stunden gearbeitet wurde. Während der Fastenzeit gab es nur einfaches Essen und kein Fleisch, was Scibec
aber nicht davon abhielt, sich ein großes Stück geräucherter Wurst abzuschneiden. Die Köchin ließ ihn gewähren. Luisa begnügte sich mit getrockneten Feigen und Grütze. Da sie die Einzigen waren, die aßen, setzten sie sich an einen großen Tisch in einer Ecke der Küche. Ihnen gegenüber zerschnitt eine Magd roten Kohl. Das Dienstpersonal schien aufgeregt, dauernd steckten sie die Köpfe zusammen und tuschelten.
»Ist etwas passiert?«, fragte Luisa die Magd, die mit hochrotem Kopf aufsah.
»Monsieur wissen nicht, dass heute jemand gehängt wird?« Entsetzt starrte Luisa sie an, und Scibec verschluckte sich an einem Wurststück. »Nein! Wer?«
»Einer der Burschen, die unten saubermachen. Er hat lange Finger gemacht, und Didier hat wohl auch was am Stecken. Seid Ihr auch bestohlen worden?«
»Ich nicht«, sagte Scibec. »Aber zwei meiner Landsleute vermissen Silberschnallen und ein gutes Wams.«
Sie würde nachsehen müssen, ob in ihren Räumen etwas entwendet worden war. Dass der Dieb die Dreistigkeit besessen und bei Meister Rosso geräubert hatte, war unwahrscheinlich. »Wo soll die Hinrichtung denn stattfinden?«
»Im Dorf gibt es einen Richtplatz. Sie sind noch im Kerker. Das Verhör findet im Schloss statt, weil der bailli hier ist, und dann gehen sie ins Dorf. Leider habe ich keinen freien Tag, sonst wäre ich hingegangen.«
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