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Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wsewolod Petrow
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für Vera wahrscheinlich sowohl trübselig als auch schwer mit mir war. Aslamasjan trat in diesem Moment ein, um mit mir zum Zug zu gehen. Doch ich kam noch dazu, Vera ins Ohr zu flüstern:
    »Das stimmt nicht! Ich liebe dich jetzt noch mehr, siehst du das denn nicht?«
    Aber ich wußte damals selbst nicht, in welchem Maße das stimmte.
XXIV.  Am selben Abend fuhren wir aus Turdej weg. Man dachte offenbar wieder an uns: Ein Bestimmungsort war festgelegt worden, man hielt uns nicht mehr auf Reservegleisen fest. Dreihundert Werst legten wir in einer Nacht zurück. Der Alltag im Waggon stellte sich nicht wieder ein. Alle saßen angespannt da, hüteten ihre Reisesäcke. Die Gespräche waren matt; man dachte über sein künftiges Leben nach; Lieder erklangen überhaupt nicht mehr. Sogar der Streit ging anders vonstatten: höflicher und feindseliger.
    Vera und ich saßen nebeneinander und sprachen, glaube ich, die ganze Strecke über kein Wort miteinander. Ich hielt ihre Hand. Unsere gemeinsame Reise ging zu Ende. Uns stand ein Abschied bevor. Vera dachte daran. Ich konnte daran nicht einmal denken.
    Allmählich schliefen alle im Waggon ein. Auch Vera döste ein, an mich geschmiegt. Der Ofen brannte kaum. Er verband die Menschen nicht mehr, war kein lebendiger, wärmender Ort mehr; er heizte bloß leidlich den Waggon. Irgend etwas Argwöhnisches war in diesem schlafenden Waggon, im unsicheren Schnarchen, im Murmeln. Ich schlich mich zum Ofen, um ein letztes Mal allein dort zu sitzen. All das deuchte mich unheilverheißend.
Es endet; die Stunde hat geschlagen,
dachte ich. Was aber endete und wofür die Stunde geschlagen hatte, wußte ich selbst nicht.
    Man ließ uns an der Bahnstation E*** aussteigen und steckte uns sofort, aus Angst vor der Bombardierung, in riesige Lastwagen, um uns vierzig Werst weit zu fahren, in das Dorf, das man uns zugewiesen hatte. Um bei Vera sein zu können, überließ ich jemandem den Platz in der Fahrerkabine, der mir als Offizier zustand. Wir nahmen auf einem riesigen Matratzenstapel Platz. Der Weg führte durch kahle Steppe, durch Schluchten. Der Schnee war fast überall geschmolzen. Die Wagen kamen im tiefen Frühlingsmatsch gerade noch voran. Der nasse Wind und die riesigen kalten Regentropfen drangen leicht unter die Matratzen, mit denen wir uns ein wenig schützten. Sobald es dunkel geworden war, hielt die Karawane. Wir waren keine fünfzehn Werst weit gekommen. Und sogleich begann die Bombardierung. Die Explosionen schleuderten ganze Gebäude in die Luft. Das war die ganze Nacht lang zu hören. Regen und Wind hörten nicht auf. Wir richteten uns mit den Matratzen eine tiefe Höhle ein und lagen dort eng umschlungen. Um uns herum war tatsächlich eine Landschaft aus »König Lear«. Ich weiß nicht, ob wir in dieser Nacht schliefen oder nicht. Traum und Wirklichkeit waren identisch: ein riesiges schwarzes Feld, voll von Wind und Kälte, helle Explosionen, weit entfernt und gedämpft.
XXV.  Erst am nächsten Tag, gegen Abend, kamen wir endlich in der uns zugewiesenen Siedlung an. In der Dämmerung entluden wir unsere Wagen auf dem Marktplatz. Kreuz und quer standen überall gedrungene Backsteinhäuschen, völlig verdunkelt: Auch hier fürchtete man die Bombardierung. Und überall war der frühjahrstypische Morast. Über den ganzen Platz floß Matsch, stellenweise noch mit Schnee vermischt. Matschströme von allen Seiten, und der stechende Wind hörte nicht auf; man konnte sich nicht vor ihm verstecken. Zögernd machte ich einen Schritt auf ein Haus zu, bald auf ein anderes; aber überall waren unpassierbare Gräben, Senken mit trübem, lehmigem Wasser.
    Vera tauchte ganz unerwartet neben mir auf. Leichtfüßig schritt sie über die glitschigen, sumpfigen Pfade.
    »Ich habe uns schon ein Quartier gefunden«, sagte Vera zu mir.
    Nach der zweitägigen Reise durch die Steppe bei Regen und Wind, während der wir sogar schon an den Waggon als einen gemütlichen, einladenden Ort zurückdachten, erschien mir ein echtes, warmes Zimmer mit Lampe und Samowar als Paradies. Vera zerrte ein Daunenbett ins Zimmer herein. Wir rollten es auf dem Boden aus. Irgendwo im Dunkeln, hinter einem Wandschirm, flüsterten die Besitzer des Häuschens. Vera und ich waren wieder beieinander, zu zweit. Im Zimmer brannte eine Öllampe. Der Wind pfiff verzweifelt und schlug an die Fenster; das Stroh auf dem Dach raschelte. Uns war warm. Wir versanken im riesigen, üppigen Hochzeitsdaunenbett der Hausbesitzer.
    »Die

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