Die Maori-Prinzessin
zum Essen zu ihnen zu kommen.
Lucie hatte eigentlich auch Adrian symbolisch zu Grabe tragen wollen, denn von ihm gab es immer noch keine Spur. Für Lucie gab es keinen Zweifel mehr, dass er zu den Opfern der Katastrophe gehörte, deren Körper einfach zermalmt worden war. Eva aber weigerte sich, Adrian aufzugeben. Ja, sie bestand sogar darauf, dass sie als seine Frau die Entscheidungsgewalt hatte. Er lebt, behauptete sie vehement und ließ keinen Widerspruch zu. Unterstützung hatte sie bei Harakeke gefunden. Wartet ein halbes Jahr, dann könnt ihr ihn immer noch beerdigen, hatte sie Lucie geraten, denn sie ahnte auch, warum Lucie so überhastet Abschied nehmen wollte: Adrians Tod traf sie tiefer, als sie zugeben wollte. Er war für sie schon seit seiner Kindheit ein zweiter Tommy gewesen. Er ähnelte ihrem Sohn vom Wesen her verblüffend.
Eva stand mit versteinerter Miene am Grab ihrer Tante Joanne. Tränen flossen keine mehr. Die hatte sie in den vergangenen zwei Wochen um Adrian vergossen. Sie war nicht müde geworden, in jedes Krankenhaus zu gehen, das Erdbebenopfer aufgenommen hatte. Sogar nach Auckland war sie gefahren in der Hoffnung, man könne ihn mit einem der Schiffe dorthin transportiert haben. Alles vergeblich!
Abrupt wandte sich Eva von dem Grab ab und ließ den Rest der priesterlichen Ansprache an sich abprallen. Ihr Blick wanderte hinüber zu Doktor Thomas’ Grab. Ein anderer Priester hielt dort eine Rede. Und davor standen Hand in Hand Berenice und Daniel. Was würde er wohl tun, wenn er wüsste, wozu sich sein Vater in seinem Suff hatte hinreißen lassen?
Als sie den Friedhof verließen, kamen ihnen die beiden entgegen. Daniel machte sich von Berenices Hand los und eilte auf Eva zu. Stumm fielen sie einander in die Arme.
»Es tut mir so leid«, stöhnte Daniel nach einer ganzen Weile. »Aber vielleicht lebt er noch! Ich habe gehört, dass ihr vor dem Erdbeben geheiratet habt. Das ist schrecklich.«
»Es ist so gemein!«, schluchzte Eva. »So hundsgemein!« Daniels Umarmung hatte sie zum Weinen gebracht. Er wandte sich nun Großmutter Lucie zu und sprach ihr sein Beileid aus. Eva fragte sich, ob er wohl bemerkte, dass ihm keiner von ihnen kondolierte.
Im Garten in der Cameron Road, der jetzt wieder allein ihnen gehörte, weil die Fremden alle wieder nach Hause oder zu Verwandten gegangen waren, hatte Helen eine Kaffeetafel gedeckt. Schweigend setzten sie sich. Ganz offensichtlich suchte Daniel Evas Nähe, denn er setzte sich schnell auf den Platz neben sie, den sie eigentlich für ihre Freundin Hariata hatte freihalten wollen. Die beiden Frauen waren einander inzwischen sehr vertraut. Deshalb wusste Eva auch, dass Hariata sich in Doktor Webber verliebt hatte und so, wie es aussah, war auch er nicht uninteressiert. Eva hatte sogar an den Zeremonien teilgenommen, die für Hariatas Familie im Waiohiki Marae, dem Versammlungshaus ihres Stammes, stattgefunden hatten. Sie war schwer beeindruckt von den feierlichen Totenritualen der Maori. Lucie und Harakeke hatten sie begleitet. Eva konnte nicht umhin festzustellen, dass ihr die Begräbnisse dieser Fremden mehr ans Herz gegangen waren als die Beerdigung von Tante Joanne soeben.
»Wie geht es dir?«, fragte Daniel mit weicher Stimme.
»Ich gebe die Hoffnung nicht auf«, erwiderte sie entschlossen. »Und du? Wirst du das Haus deines Vaters verkaufen und dann nach Wellington zurückkehren?«
»Nein, ich werde vorerst in Napier bleiben.«
»Aber hier ist alles zerstört. Die Stadt gibt es nicht mehr.«
»Eben! Deshalb hat die Regierung einige junge Architekten und Ingenieure gebeten, Pläne zum Wiederaufbau der Stadt Napier zu entwickeln, und zwar schnell!«
»Und du gehörst zu diesen jungen Architekten?«
»Ja, man hat mich gefragt, und ich habe sofort zugesagt. So zerstörerisch, wie dieses Erdbeben auch gewütet hat, als Architekt ist es eine einmalige Chance, etwas Neues zu schaffen.«
»Wollt ihr die Stadt denn nicht so wieder aufbauen, wie sie war?«
»Bestimmt nicht! Das wäre erstens viel zu teuer, zweitens ist es wahnsinnig schwer, die alten Gebäude zu rekonstruieren, und drittens sind sie auch nicht mehr zeitgemäß. Sie stammen zum großen Teil noch aus dem letzten Jahrhundert. Nein, es muss etwas Neues entstehen. Wir sind eine kleine Gruppe von Fachleuten und arbeiten an einer gemeinsamen Vision. Und wo wir gerade davon sprechen, kann ich dich auch gleich fragen: Möchtest du in unserem Team mitarbeiten?«
Das Angebot kam so
Weitere Kostenlose Bücher