Die Maori-Prinzessin
behauptet, ich wäre das Einzige, was ihrer Seele helfen würde, alles zu verwinden.«
Eva sprang von ihrem Stuhl auf, trat auf das Fenster zu und riss es weit auf. Sie brauchte dringend Luft. Entweder war Berenice das durchtriebenste Biest auf Erden oder sie war schier verrückt. Wie konnte sie Daniel so einen Unsinn auftischen? Hatte sie vergessen, was Doktor Thomas ihr hatte antun wollen? Warum versuchte sie, Daniel auf so verlogene Art und Weise für sich zu gewinnen? Kaum hatte sich Eva diese Frage gestellt, als ihr die passende Antwort einfiel. Berenice ahnte, dass er sie, Eva, liebte, dass sie ihn aber abblitzen lassen würde, und machte sich deshalb als Ersatzfrau bereit. Und wenn Berenice ihm die Wahrheit sagen würde, dass sein eigener Vater sie hatte vergewaltigen wollen, dann würde er dieses Haus verlassen und niemals wiederkehren. Dann würde er sich mit Sicherheit nicht an die Frau binden, die ihm jeden Tag vor Augen führte, was für ein armseliger Kerl sein Vater gewesen war.
Eva sog die frische Luft tief in ihre Lunge ein.
»Habe ich dich damit sehr schockiert?«, fragte er.
Wahrscheinlich hofft er, dass ich vor Eifersucht platze, vermutete Eva. Sie beschloss, das richtigzustellen, und drehte sich zu ihm um.
»Ich mag dich, und ich möchte, dass du glücklich wirst«, sagte sie leise.
»Und du befürchtest, dass ich das mit Berenice nicht werden kann?«
Eva zuckte die Achseln. Sie fühlte sich in die Enge getrieben. Natürlich wollte er hören, dass sie ihm davon abriet, aber diesen Gefallen tat Eva ihm nicht. Genauso wenig wie sie Berenice als Lügnerin entlarven würde.
»Es steht mir nicht zu, dir Ratschläge zu erteilen, was deine Partnerwahl betrifft«, entgegnete sie steif. Nein, sie würde Berenice nicht bloßstellen, aber sie würde Daniel auch nicht ins offene Messer laufen lassen. Wenn sie sich allein vorstellte, dass Berenice ihm eines Tages im Streit die Wahrheit über seinen Vater an den Kopf werfen würde … nein, dazu war ihr Daniel zu wichtig. Aber trotzdem durfte sie nicht schnöde petzen, sondern musste Berenice zur Rede stellen und von ihr verlangen, dass sie Daniel die Wahrheit sagte, bevor er sie heiratete.
»Ist das dein letztes Wort? Es interessiert dich nicht, welche Frau ich heiraten werde?«
Eva nickte, wenngleich das so ganz und gar nicht der Wahrheit entsprach.
»Gut, dann sage ich dir in den nächsten Tagen Bescheid, wann das nächste Treffen stattfindet. Ich freue mich, dass du mit an Bord bist.« Daniel war nun ebenfalls in einen unverbindlichen Ton verfallen.
Eva wollte etwas sagen, ihn zurückhalten, ihm sagen, dass er doch lieber warten solle, denn es stimmte nicht, was sie vorhin gesagt hatte. So gleichgültig, wie sie es ihm vermittelt hatte, war er ihr gar nicht. Aber sie hatte den Gedanken nicht zulassen wollen, dass es womöglich einen Mann geben könnte, der es eines Tages schaffen könnte, mit viel Geduld ihr Herz zu erobern. Warte! Bitte warte!, hätte sie ihm gern hinterhergerufen: Warte! Wenn ich vielleicht irgendwann bereit bin, Adrians Tod zu akzeptieren …
Doch da hatte Daniel bereits die Tür zum Flur hinter sich geschlossen. Eva blieb wie betäubt mitten im Zimmer stehen.
N APIER , F EBRUAR 1931
Eva hatte das Gespräch mit Daniel schon fast vergessen, als er drei Tage später wieder zu Besuch kam. Er grüßte Eva freundlich, aber distanziert. Dabei blieb sein Blick an ihrer derben, verdreckten Arbeitskleidung hängen.
»Ich bin bei den freiwilligen Helferinnen. Wir räumen in der Innenstadt den leichten Schutt weg«, erklärte sie entschuldigend.
»Du siehst auch so bezaubernd aus«, entfuhr es ihm. Ein Lächeln umspielte seinen Mund, doch dann verfinsterte sich seine Miene wieder.
»Ich möchte zu Berenice«, sagte er.
Eva zuckte zusammen. So schnell hatte sie ihn wirklich nicht erwartet. Sie war noch nicht dazu gekommen, Berenice ins Gewissen zu reden. Dabei schien er an diesem Tag tatsächlich gekommen sein, um ihr einen Antrag zu machen. Er trug einen feinen Anzug und hielt einen Blumenstrauß in der Hand. Evas Vermutung bestätigte sich, als er Lucie begrüßte und sagte: »Ich habe etwas Wichtiges mit Ihrer Enkelin zu bereden. Wäre es unhöflich, sie auf ihrem Zimmer aufzusuchen, Großmutter Lucie?«
»Aber nein, geh nur«, ermutigte sie ihn, doch dann stutzte sie. »Was willst du mit den Blumen? Daniel, du willst nicht etwa …?« Ihre Gesichtszüge erstarrten, als habe sie einen Geist gesehen.
»Doch, Lucie, ich
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