Die Maori-Prinzessin
»Wenigstens ein Kind, das eine Zukunft hat.«
»Ich werde dafür sorgen, dass es den Kindern besser gehen wird!« Lucies Stimme klang kämpferisch, und so fühlte sie sich auch. Mit diesem Tag gehörte das Suhlen im Selbstmitleid der Vergangenheit an. Und auch der Fluch ihres Vaters. Sie waren quitt. Er hatte ihr die Kinder genommen, aber über dieses Mädchen in ihrem Arm besaß er keine Macht. Nein, sie würde nach ein paar Monaten wieder zu alter Form auflaufen und jeder in Napier würde glauben, sie hätte einer Tochter das Leben geschenkt.
Lucie wandte sich an die Heimleiterin. »Denken Sie nicht, ich hätte Sie vergessen, denn es wird ein wenig dauern, bis ich mich wieder bei Ihnen melde. Erst einmal muss ich mich um dieses arme Würmchen kümmern, aber ich komme zurück!«
Lucie spürte, wie eine Hand über ihre Wange strich. Lucie zuckte zurück. Es war Tom, der sie streichelte. In seinem Blick lag nichts als Liebe.
»Lass mir Zeit!«, raunte sie ihm zu.
N APIER , 4. F EBRUAR 1931
Eva hatte bis in die tiefe Nacht vergeblich auf der Veranda auf Adrian gewartet. Sie war schließlich in Lucies altem Schaukelstuhl eingeschlafen. Die beiden Schwestern hatten alles daran gesetzt, sie davon zu überzeugen, dass sie in ihr Zimmer gehen solle, doch Eva konnte nicht. Sie wollte da sein, wenn Adrian unversehrt zurückkehrte.
Sie wachte von dem Gemurmel der alten Männer auf, die vor einem Zelt im Garten saßen und offenbar nicht schlafen konnten in dieser Nacht, in der ihre Stadt zerstört worden war.
Eva erhob sich und streckte sich. Ihr taten alle Knochen weh. Es war nicht gerade bequem, in einem Schaukelstuhl zu übernachten. Ein Blick auf ihre Uhr zeigte, dass es sechs Uhr morgens war. Es war bereits hell, und im Garten zwitscherten die Vögel, als wäre nichts geschehen. Wenn Eva sich die Zelte wegdachte, schien es das Paradies zu sein. Aber das täuschte. Sofort kamen ihr die Bilder von Zerstörung und Tod in den Sinn. Und Adrian war nicht gekommen …
Eva machte sich in der Küche einen Tee und überlegte, was sie tun sollte. Nach reiflicher Überlegung stand ihr Entschluss fest. Wenn Adrian den Weg in die Cameron Road nicht fand, konnte das nur bedeuten, dass er zu den Verletzten gehörte. Jeden anderen Gedanken wollte Eva auf keinen Fall zulassen. Nein, sie hegte keinen Zweifel, dass er ihre Hilfe brauchte und sie ihn finden würde.
Eva wusch sich und zog sich um. Sie achtete auf bequeme Kleidung und festes Schuhwerk, als ahnte sie, dass sie einen weiten Weg zurücklegen würde.
Im Haus und im Garten herrschte Totenstille, als Eva sich davonschlich, nicht ohne eine Nachricht an Lucie und Hariata zu hinterlassen, dass sie sich auf die Suche nach Adrian gemacht hätte und die beiden sich nicht sorgen sollten.
Auch in der Straße, die hinunter in die Stadt führte, war alles ruhig, doch als sie sich dem Zentrum näherte, herrschte Betrieb wie am Tag. Obwohl Eva das Ausmaß der Zerstörung am Tag zuvor bereits hatte erahnen können, war sie schockiert, welches desolate Bild ihr die Innenstadt bot. Hier stand kein Stein auf dem anderen. Die Hasting Street sowie die anderen Straßen, etwa die Browning Street, in der Innenstadt glichen Trümmerfeldern. Die Stadt war ausgelöscht. Überall bot sich ihr dasselbe Bild. Die Häuser waren zusammengestürzt, die Straßen aufgerissen, Autos und Straßenbahnen in Erdspalten verkeilt. Und was noch hinzukam, war die Zerstörung durch das Flammenmeer, das dort gewütet hatte.
Eva bog ab in Richtung des botanischen Gartens. Hier herrschte immer noch reges Treiben. Sie erkannte sogar Joanne, die noch immer unter demselben Baum lag, unter der Decke, die sie über sie gezogen hatte. Nun lagen rechts und links von ihr Dutzende von weiteren zugedeckten menschlichen Körpern.
Auf der anderen Seite des Parks waren reihenweise Hospitalbetten aufgestellt. Eva warf einen Blick auf jeden der Verletzten in der Hoffnung, Adrian zu finden, doch er war nicht dabei. Als ihr einer der Seeleute begegnete, der am Tag zuvor mit in der Cameron Road gewesen war, hielt sie ihn an. Er sah mitgenommen aus. Es war ihm anzusehen, dass er nicht geschlafen hatte.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte er erstaunt, bevor sie etwas sagen konnte.
»Ich suche meinen Mann. Er soll zurzeit des Erdbebens in Hastings gewesen sein, und ich dachte, dass er es vielleicht inzwischen auch bis Napier geschafft hat.«
»Da muss ich Sie enttäuschen, wir haben noch keine Informationen, wie es in Hastings
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