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Die Marionette

Die Marionette

Titel: Die Marionette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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Reederei waren nicht leicht gewesen, und Marc hatte als Eigner und Vorstandsvorsitzender hart gegen die Flaute in der Branche gekämpft. Das hatte seine Spuren hinterlassen.
    Wetzel setzte sich und lächelte entschuldigend. »Tut mir leid, dass ich so früh störe.«
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte Valerie.
    »Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass Katja Rittmer aufgrund ihrer Kriegserlebnisse an einem posttraumatischen Belastungssyndrom leidet. Sie braucht dringend psychologische Hilfe.«
    Valerie zog eine Braue hoch. »Ist etwas passiert?«
    Wieder räusperte sich Wetzel. »Es gab einen … sagen wir … internen Zwischenfall.«
    Valerie wartete.
    »Mehr kann … darf ich Ihnen dazu nicht sagen.«
    »Und was soll ich Ihrer Meinung nach jetzt tun?«, fragte sie.
    »Das ist Ihre Entscheidung«, erwiderte Wetzel. »Mein Chef wollte, dass Sie informiert sind, und ich hielt es für besser, es Ihnen persönlich zu sagen.« Er stand auf, anscheinend erleichtert, diese Aufgabe hinter sich gebracht zu haben. Seine Tasse stand unberührt vor ihm.
    »Keinen Kaffee?«, fragte Valerie.
    Wetzel schüttelte den Kopf. »Ich muss wieder gehen.« Und dann war er auch schon fort. Valerie hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel, und lächelte im Nachhinein über seine Schüchternheit. Sie fragte sich, warum er sie nicht einfach angerufen hatte.
    Augenblicke später kam Janine, um abzudecken. Seit Valeries Töchter im Internat waren, fragte sie sich, ob sie tatsächlich noch eine Vollzeit-Hausangestellte brauchten, aber Janine war nun seit zehn Jahren bei ihnen und nach allem, was sie gemeinsam erlebt hatten, so sehr Teil der Familie geworden, dass Valerie eine Kündigung wie ein Verrat vorgekommen wäre. Zudem würden Leonie und Sophie es ihren Eltern nie verzeihen, wenn sie während der Ferien nach Hause kommen würden und Janine nicht mehr da wäre.
    Valerie stand auf und sah in den Garten ihrer alten, am Leinpfad in Hamburg-Winterhude gelegenen Villa hinaus, in dem die ersten Pfingstrosen gerade ihre üppigen Blüten öffneten, während sie abwesend dem Geklapper des Geschirrs lauschte und über das nachdachte, was sie soeben erfahren hatte. Nachdem die Einsätze für die Soldaten in Afghanistan vor gut einem Jahr immer härter und gefährlicher geworden waren, hatte die Thematik rund um das posttraumatische Belastungssyndrom, kurz PTBS , eine ganze Zeit die Medien beherrscht. Kräftige junge Männer, trainierte Soldaten, die sich in zitternde Wracks verwandelten, sobald irgendwo eine Autotür zuschlug. Die ihre Familien verließen, sich verkrochen, den Anblick rohen Fleisches nicht mehr ertrugen, die sich ihrer Schwäche schämten und sie deswegen nicht eingestanden, die die Flucht in Drogen oder Alkohol suchten oder zurück in den Krieg gingen, der ihre Seelen zerfraß. Die Amerikaner lebten mit dieser Problematik seit Jahrzehnten: Veteranen aus Korea, Vietnam und jetzt auch dem Irak und Afghanistan. Seelische Krüppel, zurückgekehrt aus einem Krieg, den niemand wollte, fallengelassen, vergessen, an den Rand einer Gesellschaft gedrängt, die ihnen mit Hilflosigkeit und Ignoranz begegnete. Die Deutschen wussten längst nicht mehr, was es bedeutete, mit solchen Kriegsveteranen zu leben. Welche Gefahren es barg.
    Valerie hatte die Diskussionen und Debatten verfolgt, den fast überstürzten Bau von Traumakliniken, die wenigen Beteiligten gehört, die sich öffentlich geäußert hatten, und begriffen, wie viel Glück im Unglück sie selbst gehabt hatte. PTBS war für sie kein Fremdwort. Seit anderthalb Jahren kämpfte sie gegen die Dunkelheit, die drei Wochen Folter und Missbrauch in ihr zurückgelassen hatten. Nach ihrer Rückkehr aus Rumänien war sie gezwungen gewesen, sich jedes entsetzliche Detail ihrer Entführung und ihres Aufenthaltes in dem geheimen Gefängnis der CIA ins Gedächtnis zurückzurufen, damit der Mann, der dafür verantwortlich gewesen war, auch wirklich zur Verantwortung gezogen werden konnte. Der Mann, der Noor al Almawi getötet hatte. Der Verlust ihrer besten Freundin schmerzte Valerie noch immer. Der Gedanke an sie war unauslöschlich mit ihrer letzten Begegnung im Foltergefängnis der Amerikaner in Rumänien verbunden. Mit Valeries eigener Verhaftung auf dem Hamburger Flughafen, mit der alles begonnen hatte. Mit Eric Mayer, dem sie letztlich ihr Leben verdankte. Und mit Don Martinez. Sie schloss die Augen und atmete gegen die plötzliche Beklemmung an. Sie hatte sich ihren Ängsten stellen

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