Die Mars-Stadt
alles geregelt
haben, müssen wir uns mit den Milizen der Bewegung befassen.
Da geht’s um Politik, nicht um Geschäfte. Man war der
Ansicht, ich sei der Richtige, um mit dir zu reden.«
»In Anbetracht des zwischen uns herrschenden tiefen
Vertrauens.«
»So in etwa.«
»Startet ihr morgen wirklich eine Offensive?«
Reid grinste. »Kann ich nicht sagen. Geplant ist sie,
aber wir haben noch nicht alle Bugs in unseren Systemen
behoben.«
Die ANR hatte angeblich eine teuflisch schlaue
Militärsoftware aus der alten Republik übernommen, aber
den vorausgegangenen gescheiterten Offensiven nach zu
schließen, war sie bei weitem nicht so gut, wie sie sein
sollte.
»Warum veröffentlicht ihr eigentlich den
Einsatzplan? Ich glaube, die meisten Strategen wissen noch immer
das Überraschungsmoment zu schätzen.«
»Man hat mir gesagt, das habe humanitäre
Gründe«, antwortete Reid kichernd. »Dann
können sich die Zivilisten rechtzeitig in Sicherheit
bringen.«
»Und dann verstopfen Flüchtlinge die Straßen,
und die Milizangehörigen der Ministaaten können sich
für morgen krank melden, hab ich Recht?«
»Wie ich schon sagte…«
»… humanitäre Gründe. Okay. Kommen wir
zum Geschäftlichen. Wie steht es mit Norlonto?«
»Wir wissen, dass eure Milizen nicht fürs
Königreich kämpfen werden«, sagte Reid
bedächtig, »und wir erwarten nicht, dass sie für
die Republik kämpfen werden. Sämtliche Spenden wurden
natürlich dankbar angenommen, aber das nur am Rande. Die
Hauptsache ist, dass niemand glaubt, wir planten eine Invasion,
wenn wir zufällig mit großen Kettenfahrzeugen durch
euer Gebiet kommen.«
»Ich kann mir vorstellen, dass es da zu
Missverständnissen kommen könnte«, sagte ich.
(Julie schnaubte hinter meinem Rücken.) »Wer
garantiert uns, dass ihr uns nicht einfach plattmachen
werdet?«
»Außer meinem feierlichen Ehrenwort?«
»Ja«, sagte ich. »Davon mal
abgesehen.«
»Das liegt nicht in unserem Interesse. Wir haben nichts
gegen Norlonto. Einige der Kleinstaaten müssen
gesäubert werden, aber ihr steht nicht auf der
Liste.«
Großartig. »Okay, wie steht es damit: Die Granat-
und Raketenangriffe auf Norlonto werden augenblicklich eingestellt. Eure Truppen können passieren, sie dürfen
aber nicht bleiben und vor allem von unserem Gebiet aus keine
Angriffe gegen die Hannoveraner starten, selbst wenn die
Erlaubnis des Grundstücksbesitzers vorliegen
sollte.«
»Geht in Ordnung«, sagte Reid.
»Das ist ein Bruch des Abkommens«, warf Julie ein,
als wäre ihr das soeben erst eingefallen.
»Sicher doch«, meinte Reid trocken. »Deshalb
schlage ich für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir diese
Runde verlieren, vor, dass Jon diese Vereinbarung über eure
Köpfe hinweg bekannt macht. Alle, die das
Restaurationsabkommen akzeptiert haben, treten empört
zurück, und Jon übernimmt für die nächsten
ein, zwei Tage die Kontrolle.«
»Was!«, riefen Julie und ich im Chor.
»Klar«, fuhr Reid unbeirrt fort. »Macht ihn
zum Diktator oder so. Auf diese Weise kann er der Miliz
Anweisungen geben und die Kritik einstecken, falls wir baden
gehen. Falls wir siegen und er an seinem Job zu sehr klebt,
könnt ihr ihn anschließend immer noch
erschießen, aber ich bin sicher, das wird nicht nötig
sein.«
»Du verlangst eine Menge«, sagte ich. »Wenn
ihr unterliegt, werde ich dafür baumeln.«
»Ach, ich an deiner Stelle würde mir darüber
nicht den Kopf zerbrechen«, meinte Reid leichthin.
»Wenn wir verlieren, dann deshalb, weil die Yanks
eingreifen, und dann stirbst du auf jeden Fall.«
»Gilt das nicht für uns alle?«, fragte Julie.
»Ich meine, weshalb sollten wir uns
deswegen…?« Sie wedelte mit der Hand.
»Liebe Bürgerin«, sagte Reid mit gespieltem
Langmut, »die Yanks haben eine Liste. Er steht
drauf, Sie hingegen nicht.«
»Tja«, sagte ich, als seine beschwichtigenden
Bemerkungen Wirkung zeigten, »wie kann ich da noch
ablehnen?«
»Guter Mann«, sagte Reid. »Ich hoffe, wir
sehen uns wieder.«
»Ich auch, Kumpel«, sagte ich. »Ich
auch.«
Am nächsten Tag begann die ANR-Offensive (Krieg mit
Ansage! titelte die Mittagsausgabe der Sun-Times), geriet
noch vor dem Abend ins Stocken und versandete. Angeblich war dies
auf ein Softwareproblem zurückzuführen, doch das klingt
unwahrscheinlich. Ich glaube eher, der zeitgleich beginnende
Generalstreik und die lokalen Aufstände waren dafür
verantwortlich. Zum Glück
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