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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Frau«, erwiderte ich. »Sie hält mir den
Rücken frei, wenn ich hier bin, und das hat sie schon immer
getan. Also halt den Mund, Genosse, und hören wir uns an,
was sie zu sagen hat. Falls niemand etwas dagegen
hat.« Ich funkelte die Genossen über den
Kartentisch hinweg an, und schließlich nickten auch
alle.
    »Okay«, sagte Annette. In der Realität glitt
sie auf meinen Schoß und legte mir den Arm um die
Schultern; in der VR flog sie auf und umflatterte aufgeregt die
Karte, als würde sie vom Licht angezogen. »Ihr habt
gesagt, es bedeute eine fürchterliche Niederlage und
Schmach, wenn die Republik Norlonto besetzen würde. Na
schön. Ich bin sicher, auch Jon sieht das so. Aber habt ihr
bedacht, wie groß die Niederlage und die Schmach
wären, wenn ihr blutig untergehen würdet? Oder wenn ihr
siegen und selbst ein Staat werden würdet? Ihr müsstet
nicht bloß gegen die Armee, sondern auch gegen die
Schutzfirmen kämpfen, und das wäre das Ende der
Freimarktanarchie, auf die ihr so stolz seid. Und was die
Vertreibung der Flüchtlinge betrifft – und genau das
hast du gemeint, Julie –, so wäre das nicht bloß
falsch, sondern würde auf Jahre als Beleg dafür
verwendet werden, dass unsere Gesellschaft sich von anderen gar
nicht so sehr unterscheidet.«
    Sie ließ sich auf meinem Schoß und gleichzeitig
auf der Karte nieder. »Aber was meint ihr, was passieren
wird, wenn ihr die Armee hereinlasst? Die Armee wird sich von
unserer Lebensweise anstecken lassen – in
ökonomischer, nicht in politischer Hinsicht. Sie wird
gezwungen sein, Geschäfte zu machen, mit Kampf-Futures zu
handeln, Streitigkeiten vor Gericht auszutragen,
Swapgeschäfte mit Gesetzen zu machen und was sonst noch
dazugehört.«
    »Woher willst du wissen, dass sie nicht einfach ihren
Willen durchsetzen wird?«, fragte Mike.
    »Weil Julie Recht hat«, antwortete Annette.
»Diese Leute wollen gar nicht kämpfen. Sie wollen uns
nicht erobern, sie wollen uns bloß aufkaufen.
Tatsächlich scheint es so, als hätten sie die
Schutzfirmen bereits aufgekauft. Und was gekauft wurde, kann auch
verkauft werden. Ehe sie sich’s versehen, werden sie den
Anarchokapitalismus praktizieren, ohne auch nur ein Wort davon zu
glauben.«
    »Genau wie alle anderen Gruppen, die hierher gekommen
sind«, bemerkte Julie säuerlich. »Und schaut
euch bloß mal an, wie weit uns das gebracht hat.«
    »Ja, schaut euch um«, sagte ich. »Es hat uns
zwanzig Jahre Frieden und Freiheit eingebracht und Toleranz
zwischen Menschen, die sich zuvor bis aufs Blut gehasst
haben!«
    Juan, Mike und Julie mussten lachen. Es war allgemein bekannt,
dass die Liberalisten in Norlonto seltener waren als die
Kommunisten in den von Reid so genannten Arbeiterstaaten.
    »Ich glaube, Annette hat Recht«, sagte ich
bedächtig, als hätte ich das nicht schon längst
gewusst und bloß nicht auszusprechen gewagt (mir hätte
man den leidenschaftlichen Pazifismus ihres Appells niemals
durchgehen lassen). »Es gibt noch etwas, das wir gerne
vergessen und das mir seit einiger Zeit Sorge bereitet. Im Laufe
der Jahre haben wir uns dermaßen in die Verwaltung
Norlontos einspannen lassen, insofern es sich nicht selbst
verwaltet, dass wir die Entwicklungen im Weltraum ein wenig
vernachlässigt haben. Ich weiß, ich weiß, es
ging irgendwie um Sozialismus-in-einem-Land gegen die
Weltrevolution, und die Weltraumverteidigung drehte weit oben im
Orbit ihre Kreise, und abgesehen von Alexandra Port konnten wir
praktisch nicht viel für sie tun. Ich erinnere mich, dass
einige von uns vor Jahren mal experimentelle Laserkanonen
aufstellen wollten und dafür aus dem Orbit gedeckelt wurden.
Jetzt aber befindet sich die Weltraumverteidigung in einer
gefährlichen Lage, und wir haben Freunde – Genossen
– in Lagrange und auf dem Mond, die versuchen, aus einem
Lumpen, einem Knochen und einem Lufttank ein Ökosystem
aufzubauen. Es wird allmählich Zeit, dass wir ihnen helfen.
Und deshalb meine ich, wenn die Planwirtschaftler in Norlonto
einmarschieren wollen, sollen sie ruhig kommen. Wir haben
Besseres zu tun.«
    Ich lehnte mich zurück, spürte, wie Annettes Gewicht
sich ebenfalls verlagerte, sah, wie die Schmetterlingsprojektion
erbebte. Die übrigen drei Anführer der Weltraumbewegung
sahen mich an und verständigten sich unter dem Tisch –
so sah es jedenfalls aus. Ich hoffte, sie würden insgeheim
erleichtert sein, die Ehre der Bewegung

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