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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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wirklich, ich hätte eine
Chance?«
    Tamara überlegte einen Moment, musterte ihn kritisch.
»Nein. Eigentlich nicht. Du bist größer, aber er
ist schneller.« Ihre Miene hellte sich auf. »Aber ich
hätte eine Chance, oder ich könnte einen
Verbündeten benennen. Mist. Ich wünschte, Ax wäre
hier.«
    »Vergiss es«, meinte Wilde. »Ich möchte
nicht, dass du meine Schlachten schlägst.«
    »Schlachten…« Tamara straffte sich.
»Du hast gesagt, es würde vielleicht mächtigen
Ärger geben. Ich könnte den Genossen Bescheid geben,
dass sie sich bereithalten sollen. Am Circle Square haben wir ein
paar gute Kämpfer und auch Leute, die sämtliche
großen Schlachten der Anarchisten analysiert haben –
Paris, Kronstadt, Ukraine, Barcelona, Seoul,
Norlonto…«
    »Schon gut«, meinte Wilde. »Also, eigentlich
ist es ein bisschen spät dazu, und ich sage es auch nur
ungern, aber die großen anarchistischen Schlachten der
Geschichte haben eines gemeinsam.«
    »Ja?«
    Wilde stand auf, um sich in die erste Reihe zu setzen.
Über Tamaras gespannte Neugier musste er lächeln.
    »Sie waren ausnahmslos Niederlagen«, antwortete
er.
     
    Wilde nahm seinen Platz ein, mit Tamara zur Rechten und Ethan
Miller zur Linken. Tamaras Begleiter setzten sich in der
Nähe hin. Ein Stück weiter zur Linken, auf der anderen
Seite eines Gangs, der zwischen den Sitzplätzen
freigeblieben war, hatte sich Reid mit seinen engsten
Unterstützern niedergelassen. Auch die übrigen der etwa
hundert Stühle waren besetzt, und doppelt so viele Personen
– Menschen wie Nichtmenschen – standen entweder oder
saßen im Gras. Vor ihnen befanden sich das Holzpodium mit
den schlichten Möbeln sowie zahlreiche Mikrofone und
Kameras. Den Plaketten war zu entnehmen, dass die meisten zu
verschiedenen Nachrichtensendern gehörten und nicht zum
Gerichtsinventar, doch von einigen führte ein
spinnwebartiges Kabelgewirr, das im feuchten und mittlerweile
zertrampelten Gras funkelte, zu den hinter den Sitzplätzen
aufgestellten Lautsprechern. Ethan überprüfte
herausfordernd die Mechanik seines Gewehrs.
    Als Eon Talgarth eine Minute vor zehn durch den Mittelgang
nach vorne geschritten kam, verstummten die Gespräche,
während die übrigen Geräusche – das Atmen,
das Kleiderrascheln und das Summen der Aufnahmegeräte
– auf einmal deutlicher zu vernehmen waren als zuvor.
Köpfe und Kameras schwenkten zu ihm herum. Talgarth blickte
starr geradeaus.
    Er war schlank, mittelgroß und hatte schütteres
braunes Haar, das er sich unter dem großen Hut straff
zurückgekämmt hatte. Er trug einen schwarzen Anzug und
ein weißes Hemd mit einer blauen Krawatte. Seine
Gesichtszüge strahlten mehr Reife aus als die meisten
modisch gestylten Gesichter von Ship City. Als er das Podium
erreicht hatte, sprang er hinauf und nahm behutsam auf dem
Klappstuhl Platz. Er schenkte sich gelbe Flüssigkeit in das
Glas ein, nahm einen Schluck und zündete sich eine Zigarette
an.
    »Nun gut«, sagte er mit einem Londoner Akzent, der
im Vergleich mit der Silben verschluckenden Sprechweise der
Einheimischen archaisch und schleppend klang. »Fangen wir
an.«
    Reid stand sogleich auf und trat ans nächste
Mikrofon.
    »Einspruch«, sagte Wilde, sich erhebend.
»Meine Beschuldigung ist schwerwiegender und sollte als
Erste angehört werden.«
    »Einspruch abgelehnt«, entgegnete Eon Talgarth.
»Sein Begehren hat Vorrang.«
    Wilde wandelte ein Achselzucken zu einer höflichen
Verneigung ab und nahm wieder Platz. »DEN VERSUCH WAR ES
WERT«, kommentierte sein Rechtsbeistand.
    Reid wandte sich an den Richter.
    »Ehrwürden«, sagte er. »Ich danke Ihnen
dafür, dass Sie uns anhören.«
    »Ich danke Ihnen dafür, dass Sie diesem Gericht die
Ehre erweisen«, erwiderte Talgarth. »Was haben Sie
vorzubringen?«
    Reid zögerte kurz, dann sagte er so flüssig, als
läse er von einem Zettel ab: »Ich beschuldige Jonathan
Wilde und Tamara Hunter. Jonathan Wilde werfe ich vor, mithilfe
des Robots Jay-Dub, Eigentum des Vorgenannten, die Steuersysteme
eines mir gehörigen Modell-D-Gynoids, bekannt als Dee Model,
beschädigt zu haben. Tamara Hunter werfe ich vor, sich
illegal in den Besitz des Gynoids gebracht zu haben, in der Folge
wider besseres Wissen behauptet zu haben, dass Dee Model
herrenloses Gut sei, und die vom Gynoid ungerechtfertigterweise
beanspruchte Autonomie gegenüber den
Wiederbeschaffungsagenten seines rechtmäßigen

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