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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Büchern Proudhons und
Tuckers, Herberts und Spencers, Robert Heinleins und Robert Anton
Wilsons eine verlässliche Startrampe des Geistes
darstelle.
    Was mir noch an Reid gefiel, war der Umstand, dass ich mit ihm
schneller betrunken wurde als mit jedem anderen; dies passierte
jeweils am Freitagabend.
     
    Reid und ich unterhielten uns noch öfter über
›die Machtübernahme durch die Computer‹ (so
nannte man damals die Singularität), dann gingen wir zum
neuesten Artikel aus dem New Scientist über die
Katastrophentheorie über, die Reid skeptisch beurteilte,
nämlich als ›bourgeoise Version der
Dialektik‹, wie er sich ausdrückte. Nach der
Wissenschaft kam die Politik: Das heiße Thema war Portugal,
wo die extreme Linke sich soeben bei einem ungeschickten
Militärputsch übernommen hatte.
    »Hier steht ein guter Artikel drin«, sagte Reid
und zog die Red Weekly aus der Jackentasche, die Zeitung
der Internationalen Marxisten. »Das stellt bei weitem in
den Schatten, was der Socialist Worker zu sagen hat. Also,
ich hab ihn selbst noch nicht gelesen, aber er scheint gut zu
sein.«
    »Schon gut, schon gut«, sagte ich. »Ist
gekauft. Auf sektiererische Polemik versteht ihr euch wirklich
gut.«
    »Am Ende kriegen wir dich auch noch«, meinte Reid
grinsend, während ich ihm das Geld gab.
    »Oder ich kriege dich«, sagte ich.
    Reid zuckte die Achseln. »So funktioniert das
nicht«, sagte er. Er begann sich eine Zigarette zu drehen,
seine Stimme klang erschöpft. »Man hört nicht
einfach auf, Sozialist zu sein, und wird etwas anderes. Entweder
man wird nichts, oder man tritt in die Labour Party ein
– was aufs Gleiche herauskommt.«
    »Ich habe aufgehört, Sozialist zu
sein«, erklärte ich.
    »Ja, aber das ist was anderes. Das ist so, als wenn ich
sagen würde, ich wäre kein Christ mehr. Aber ich wurde
in dem Sinne erzogen, und sobald ich eigenständig denken
lernte, war die Sache für mich erledigt. Und so war’s
auch bei dir, hab ich Recht?«
    »Mag sein«, sagte ich. »Mit dem Unterschied,
dass ich nicht jeden Sonntag zur Messe antreten musste.«
Dabei erinnerte ich mich voller Unbehagen daran, wie wenig
nötig gewesen war – bloß ein anarchistischer
Artikel von Tucker, glaube ich –, um sämtliche
Zweifel, die ich jemals hinsichtlich meines ererbten Glaubens
gehegt hatte, zur Gewissheit werden zu lassen.
    »Ich hoffe, ich werde immer so denken wie jetzt«,
fuhr Reid fort, »denn das macht Sinn, das ist allem, was so
angeboten wird, voraus. Aber wenn ich’s jemals vergessen
oder, du weißt schon, die Orientierung verlieren
sollte…«
    »Oder du erkennst, dass du dich die ganze Zeit geirrt
hast.«
    »… okay, so wird’s mir dann vorkommen, das
werd ich mir einreden…«
    Er grinste säuerlich, befeuchtete mit der Zunge das
Rizla-Zigarettenpapier, wobei er vorübergehend geradezu
diabolisch wirkte. »Aber sollte es jemals dazu
kommen«, schloss er, drehte die Zigarette fertig und
steckte sie an, »will ich verdammt sein, wenn ich ein
idealistischer Kämpfer der Gegenseite werde. Ich muss sehen,
wie ich klarkomme.«
    »Genau das glaube ich im Moment!«, sagte ich
fröhlich. »Sei auf deinen eigenen Vorteil bedacht. Ich
bin kein idealistischer Kämpfer für was auch
immer.«
    »Das glaubst du bloß«, sagte Reid. »Du
bist Anarchist aus reinem, unschuldigem Eigennutz? Ja, klar. Mach
dir nichts vor, Mann, du nimmst Anteil. In deinem Herzen
bist du Sozialist.«
    Ich mochte ihn genug, und er hatte es mit der nötigen
Leichtigkeit gesagt, sodass ich nicht beleidigt war.
    »Nee, so ist es nicht«, erwiderte ich. »Ich
wünsche mir eine staatenlose Welt aus ganz
eigennützigen Motiven: Ich will ewig leben. Ganz im Ernst.
Ich will auf ein Raumschiff drauf. Eine Welt voller organisierter
Banden von Spinnern mit atomarer Bewaffnung entspricht nicht
meiner Vorstellung von einer sicheren Umgebung.«
    Die meisten Leute lachten mich aus, wenn ich das sagte, Reid
jedoch nicht. Eines der Dinge, die wir gemeinsam hatten, war
unser Interesse an Science Fiction und den technischen
Möglichkeiten, was genau zu meinen übrigen
Vorstellungen passte. Theoretisch passte es auch zum Marxismus,
doch ich wusste, dass Reids Genossen dies als ideologisch
fragwürdig ansahen, so als dürften die Spekulationen
nicht über die neuesten Verlautbarungen der Internationalen
Marxisten hinausgehen. Seine Stapel von Galaxy und Analog hatte er wie Pornos in einem Schrank

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