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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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hätte das niemals fertiggebracht«, sagt
Wilde. In seiner Miene spiegelt sich eher Bewunderung als Trauer
wider. »Was immer da in dem Raupenfahrzeug war, ich war es
nicht.«

 
18    Das
Malley Mile
     
     
    Das Zeitempfinden kam zum Stillstand. Kein weißes Licht,
keine Todeserfahrung. Eben noch lag ich auf dem Rücken, die
Körperwärme und das Blut versickerten im kalten Schnee,
die Farben verblassten. Und dann auf einmal…
    Ich saß kerzengerade aufgerichtet und splitternackt auf
einem Bett, gegenüber einem Fenster. Das Fenster war ein
Rechteck bodenloser Schwärze, horizontal geteilt von einem
weißen Band, das wiederum von schwarzen Linien
unterschiedlicher Dicke unterteilt war. Ich hatte das
Gefühl, als wäre ich von einer Sirene geweckt worden.
Gleichwohl war es still im Raum, abgesehen von einem leisen
Geräusch, das ich der Lüftungsanlage zuschrieb, das
aber auch vom Rauschen des Windes in irgendwelchen Bäumen
hätte herrühren können. Es waren keine
ersterbenden Echos zu vernehmen, und kein Laut drang an mein
Ohr.
    Ich hatte keine Zeit, mich zu fragen, wo ich mich befand, denn
draußen vor dem Fenster kam ein Felsbrocken auf mich
zugeflogen. Er drehte sich mit trügerischer Langsamkeit um
die eigene Achse und näherte sich vor dem schwarzen
Hintergrund und den weißen Bändern so rasch, dass er
jeden Moment die Fensterscheibe zertrümmern musste.
    Der Felsbrocken wurde von zwei riesigen, mit Gelenken
verbundenen Gebilden eingefasst, die aus einzelnen Elementen
zusammengesetzten Armen ähnelten und von beiden Seiten in
den Fensterausschnitt ragten. Zwischen mir und dem Fenster stand
ein leerer Maschendrahtrahmen, dessen Umriss dem eines Menschen
mit gespreizten Armen und Beinen entsprach, vergleichbar dem
Abdruck einer Comicfigur, die in einen Hühnerzaun gerannt
und zurückgeprallt ist.
    Ich wusste, was ich zu tun hatte, und wunderte mich nicht
darüber. Ich sprang vom Bett auf und warf mich in den
Rahmen. Ich presste mich dagegen und schloss die Augen.
    Alles veränderte sich. Das Fenster füllte
plötzlich mein ganzes Blickfeld aus, und die Arme dort
draußen waren meine Arme. Ich hatte den Eindruck, der
Felsbrocken sei weniger als einen halben Meter von meinem Gesicht
entfernt und schwebe mir gemächlich entgegen. Ich hob die
Hände, schloss sie um den Felsbrocken und fing ihn so
mühelos auf, als handele es sich um einen Wasserball.
    Allerdings bewegte ich mich nun rückwärts.
    Ich schob den Felsbrocken von mir weg, ohne ihn loszulassen,
und blickte hinter mich. Vor mir ragte eine von Bändern
gesäumte, aus roten, orangefarbenen, gelben und weißen
Wirbeln zusammengesetzte Wand auf, und davor befand sich ein
Schwarm schwarzer Flecken und ein riesiges Gitterwerk aus
schwarzen Linien. Im selben Moment verwandelte sich die Wand in
den Ausschnitt einer Kugelfläche, die sich in alle
Richtungen von mir fortbog und am Rand mit dem schwarzen All
verschmolz, und mir wurde bewusst, dass ich mich darauf zubewegte
oder vielmehr darauf zustürzte.
    Ich bemühte mich, den Sturz aufzuhalten. Ich hatte das
Gefühl, auszurutschen und ums Gleichgewicht zu kämpfen,
und dann stabilisierte ich mich und grub die Füße in
den Boden. Am unteren Rand meines Gesichtsfelds blitzte es kurz
auf, und eine Dampfwolke tauchte auf und zerstreute sich.
    Dann befand ich mich wieder im Zimmer, stand im
Maschendrahtrahmen und hatte mir die Hände vors Gesicht
geschlagen. Vor dem Fenster hielten die riesigen Arme noch immer
den Felsbrocken fest. Ich konnte die zernarbte Oberfläche
erkennen und die schwarzen Finger, die den Gliedmaßen von
Insekten ähnelten.
    Ich trat aus dem Rahmen heraus und setzte mich aufs Bett. Der
Rahmen stand da wie eine Drahtskulptur. Langsam breitete er
wieder die Arme aus. Das ist ja ein verdammt fortschrittlicher
Telepräsenzapparat, dachte ich. In seinem Innern hatte ich
das Gefühl gehabt, das ganze… Raumschiff (?), in dem
ich mich befand, sei mit meinem Körper identisch. Dass das
Raketentriebwerk durch ein Strecken meiner Beine gesteuert wurde,
kam mir besonders raffiniert vor. Gleichwohl hatte ich keine
Beschleunigung gespürt, als das Triebwerk gezündet
hatte. Ich grübelte über diese Anomalie nach,
während ich mich umschaute und mir über meine Lage klar
zu werden versuchte.
    Zunächst mal mein Körper. Soweit ich erkennen
konnte, war er so, wie ich ihn in Erinnerung hatte, mager, faltig
und alt, aber, wie man so

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