Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
Vom Netzwerk:
Beine.
    Ich ging zum Tisch und untersuchte den Rechner:
Flachbildschirm, Flachtastatur, alles ganz normal.
    Alles tot. Verdammt.
    Ich trat abermals in den Rahmen. Als ich das Gesicht an das
Metallnetz presste, sah ich wieder aus der Perspektive der
Maschine. Ich bewegte die Arme des Rahmens, doch die Arme des
Schiffes machten die Bewegung nicht mit. Ich nahm an, dass ich
sie nur unter gewissen Umständen steuern konnte.
    Vor mir schwebte Jupiter. Ich bewegte mich rasch auf den
Schwarm schwarzer Punkte rings um das schwarze Gebilde zu. Mit
einem weiteren Stoß der Raketentriebwerke, diesmal von vorn
und abermals ohne dass ich eine Beschleunigung wahrnahm, bremste
ich ab und trieb in den Schwarm hinein. Ich verglich die Form der
anderen umherflitzenden Maschinen mit meiner eigenen:
    Zylindrisch geformt, die Arme in der Mitte angeordnet und
anscheinend in alle Richtungen frei beweglich;
›Hände‹ wie Büsche, mit mehrfach sich
verzweigenden Fingern; der Rumpf bedeckt mit Linsen,
Austrittsöffnungen, Antennen und Luken; vier kürzere,
gedrungenere Gliedmaßen, die zum Greifen und Festhalten
geeignet waren; alles (mit Ausnahme der Linsen) aus einem
mattschwarzen Material bestehend, das nicht metallisch wirkte und
das ziemlich fleckig und zerkratzt war. Die Maschinen bewegten
sich mithilfe von Rückstoßtriebwerken umher
(selbststeuernde Roboter, dachte ich amüsiert) und
arbeiteten in unheimlicher, lautloser Harmonie gemeinsam an der
wohl größten Weltraumstation aller Zeiten. Wenn die
Roboter ungefähr so groß wie Menschen waren, dann
durchmaß das Gebilde wohl einige Dutzend Kilometer.
    Ich dachte an die früheren Experimente mit Spinnen im
Weltraum, mit Spinnen unter Drogeneinfluss. Was ich da sah,
wirkte wie das Werk einer Million halluzinierender Spinnen im
Zustand der Schwerelosigkeit. Die schwarzen Roboter
vollführten darum herum ein newtonsches Ballett, und an den
Fäden entlang bewegten sich andere Apparate mit noch
größerer Anmut. Deren vielfältige, bunte Formen
ähnelten visualisierten Chaosgleichungen, mathematische
Monster, deren fraktale Oberflächen wie die Wimpern von
Mikroorganismen in einem Wassertropfen wogten und zuckten.
    Ich betrachtete sie bereits als meine Gegner.
    Die Maschine, in der ich mich befand, schwebte in das riesige
Spinnennetz hinein, legte an einem der Stränge an und machte
sich mit den kleinsten Fingern der vielfingrigen Hände (oder
sollte ich eher von Mikrofingern sprechen?) an einer Art
Knotenpunkt mehrerer Stränge zu schaffen. Was genau sie dort
tat, vermochte ich mit meiner gegenwärtigem Sehschärfe
nicht zu erkennen. Ich löste mich vom Rahmen und trat
zurück. Durch das Fenster betrachtet, lief alles mit
erhöhter Geschwindigkeit ab – die Finger waren in
rasender Bewegung begriffen, die Gebilde im Spinnennetz
krabbelten und flogen umher.
    Ich ging in die Küche. Der Wasserkessel pfiff; auf dem
Glas mit dem Instantkaffee stand ›Nescafé‹,
doch er schmeckte besser, als ich ihn in Erinnerung hatte. Neben
der Spüle lagen ein Feuerzeug und eine angebrochene Packung
Silk Cut. Die Wärme der Flamme, der sich
emporkräuselnde Rauch und der Nikotinflash wirkten
völlig realistisch.
    Ich nahm einen tiefen Zug und stieß den Rauch aus.
Meinem Genuss war eine gewisse ungewohnte Reinheit zu eigen. Ein
Gutes jedenfalls hat das Totsein: Man braucht sich keine Gedanken
über die eigene Gesundheit zu machen. Ich fragte mich, was
wohl passieren würde, wenn ich anfinge, alles zu
zerstören, mich selbst eingeschlossen. Als ich mit etwa
dreizehn Jahren Bishop Berkeleys hintersinnige Werke las,
entwickelte ich die verrückte Vorstellung, seine
Vorstellungen auf die Probe zu stellen und an der Oberfläche
der Welt zu kratzen, um den grinsenden Schädel Gottes
bloßzulegen… Hier mochte dies durchaus möglich
sein – reichte die Simulation bis in Innere der Dinge, bis
in mein Innerstes? –, doch ich verzichtete auf die
Durchführung des Experiments. Verstandesmäßig
bereitete es mir keine Schwierigkeiten, die Möglichkeit in
Betracht zu ziehen, dass ich eine Simulation war – man
hatte schon seit längerem über das Uploaden spekuliert,
und es schien die unvermeidliche Konsequenz der Tiefentechnologie
zu sein, von der Myra mir berichtet hatte. Ich hatte nie daran
gezweifelt, dass Nanotechnik und leistungsfähige AI
irgendwann menschliches Bewusstsein emulieren würden.
    Sich gefühlsmäßig damit abzufinden,

Weitere Kostenlose Bücher