Die Mars-Stadt
hat.
Während die Motorenechos verstummen, sieht Dee
große, menschenähnliche Gestalten aus dem Schatten am
Rande des Tunnels hervortreten. Ihre Körper reflektieren
matt das Licht der verblassten Isotopenleuchten. Tamara und Ax
straffen sich, die Waffen in der Hand. Wilde befindet sich in
einem Zustand der stoischen Gelassenheit oder des verspätet
einsetzenden Schocks, und blickt den sich nähernden
Gestalten scheinbar ungerührt entgegen. Nach allem, was er
durchgemacht hat, können ihn große humanoide Robots
auch nicht mehr erschüttern.
»Na schön«, sagt Dee hastig. »Wilde
– ich meine, Jay-Dub – hat mir von ihnen
erzählt. Sie sind uns freundlich gesonnen.«
Die Robots versammeln sich um die Menschen und drängeln
mit verstörend menschlicher Neugier.
»Wenn ihr Freunde von Jay-Dub seid«, sagt einer
der Robots voller Stolz, mit einer volltönenden
High-Fidelity-Stimme, »seid ihr auch unsere Freunde.«
Die Augen in seinem ovalen Gesicht leuchten auf. »Wir haben
kaum Freunde. Die Menschen, die hier leben, akzeptieren uns
nicht, und die wilden Maschinen…«
Mit seinen Schultern bringt er sogar eine Art Achselzucken
zustande.
»Wartet hier bei uns«, schlägt er vor.
Abermals leuchten seine Augen. »Wir haben
Nahrung.«
Die humanoiden Robots – Überbleibsel einer
Jahrzehnte zurückliegenden falschen Produktionsentscheidung
– haben tatsächlich in Hohlräumen in den
Tunnelwänden Nahrung gelagert. Ebenso wie der Zweck ihrer
Aktivität bleibt auch der Grund im Dunkeln, weshalb sie die
Konservendosen und Gläser horten. Sie selbst ernähren
sich von einem Stromkabel, das durch den Tunnel führt. Dee
hat den Eindruck, sie haben das entwickelt, was früher
einmal manchen als wesentliches Bestimmungsmerkmal der Menschheit
galt, nämlich eine Religion.
Entgegen allem Augenschein glauben sie, sie wären von
Adam, dem ersten Menschen, einem Schmied, erschaffen worden. Ihre
heiligen Schriften sind Kindertexte über die vergangenen
Herrlichkeiten der Erde, der Wahrheit kaum näher als die
Märchen, mit denen der Geschichtenerzähler Dee
unterhält. Sie erzählen vom Begeisterungstaumel der
industriellen Revolution und von einem Mittler zwischen Mensch
und Maschine, dem Robot, der ein Mensch wurde und noch immer ist,
Jay-Dub.
Die Menschen genießen ihre Gastfreundschaft, hören
zu, wie die Robots ihre Überzeugungen schildern, und singen
ihre Lieder. Die Lieder sind nahezu unverständlich. Ax
bezeichnet sie als Androidenspirituals, Wilde beharrt darauf, es
handele sich um alte Heavy-Metal-Hits.
Dee ängstigt die Vorstellung, sie könnten eine
Verbindung zwischen Wilde und Jay-Dub herstellen, den sie im
Laufe der Jahre mehrfach in Robotgestalt, als Fernsehbild oder
holographisches Avatar gesehen haben. Zum Glück ist ihre
Mustererkennung schlecht. Bei ihrem Bewusstsein handelt es sich
um authentische, wenn auch rudimentäre künstliche
Intelligenz und nicht (wie bei ihr) um die Kopie einer
menschlichen Vorlage.
Außerdem haben sie keine Erfahrung darin, menschliche
Emotionen wahrzunehmen, und bleiben vom Argwohn und den
unablässigen halblauten Beratungen der Menschen
unbeeindruckt. Sie beschäftigen sich mit der letzten
Aufgabe, die Jay-Dub ihnen gestellt hat: Einzelne Komponenten
humanoider Robotrümpfe setzen sie zu Robotanzügen
für Menschen zusammen. Anscheinend macht es ihnen
Spaß, an den Menschen Maß zu nehmen und ihnen die
Metallrüstungen anzupassen. Dee traut sich nicht, sie zu
fragen, ob die Rüstungen von toten Robots stammen oder von
Versuchen, ihre eigene Art fortzupflanzen. Sie achtet darauf,
dass ihre Haut nicht in den Gelenken eingeklemmt wird.
Wilde, Tamara und Ax lachen mit ihr zusammen, als sie die
Rüstungen anprobieren und das Gehen damit üben. Es
lenkt sie ab, und das ist jedem bewusst. Sie wissen alle, worauf
sie warten, und obwohl sie bloß ein paar Stunden ausharren
müssen, wird ihnen die Zeit doch lang.
Die Explosion ist weit entfernt und leise, gleichwohl
füllt das weiße Licht den Tunnel aus. Der Soldat kann
nicht erkennen, ob es sich um eine gegnerische taktische
Atombombe handelt, oder ob im Innern des Fahrzeugs eine
selbstgebaute Vorrichtung gezündet wurde, um der
Gefangennahme zu entgehen. Auf jeden Fall war es
Selbstzerstörung.
»Ach, Jay-Dub«, sagt Dee. »Arme Meg. Das war
ja so tapfer.«
Das Grummeln der ersten Druckwelle erstirbt. Teile der
Tunneldecke stürzen ein…
»Ich
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