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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Realität innerhalb einer virtuellen
Realität hätte die Gefahr einer Rekursion mit sich
gebracht, die dazu hätte führen können, dass das
bereits überbeanspruchte Band zwischen dem Bewusstsein und
seiner Umgebung zerriss. Ich entdeckte ein Icon, das eine winzige
rotierende Erde darstellte, und klickte es an.
    Es handelte sich um ein weiteres Info, das mehr zeigte als
erklärte, wie es zu dieser Himmelsstadt am Rande des Jupiter
gekommen war.
    Myras Befürchtungen hatten sich allesamt
bewahrheitet.
    Offenbar bearbeitete Bilder von Spionagesatelliten, der
Beschreibung nach in Realzeit wiedergegeben. Man sah Städte,
die zum ersten Mal seit Jahrzehnten von Smogwolken
eingehüllt waren. Nach ein paar Zooms wurde die Quelle der
Luftverschmutzung erkennbar: Schornsteine und offene Feuer.
Trotzdem gab es auf den Straßen zahlreiche Bäume, ganz
im Sinne der Grünen. Auf dem Trafalgar Square ein Pferd, das
neben der umgestürzten Nelson-Statue graste, plötzlich
den Kopf hob und ihn schüttelte, als ob es spürte, dass
es beobachtet wurde. Der Frühling hatte in Europa auf sich
warten lassen: Im Schatten lag noch Schnee.
    Dann weitete sich der Blick – die Lagrange-Siedlungen,
in Wolken entwichener Atemluft und Weltraummüll
gehüllt; der Mond dunkel, der Mars menschenleer;
verschlüsselte Unterhaltungen aus dem Asteroidengürtel,
was mir einen kurzen Stich versetzte.
    Und dann, in krassem Gegensatz dazu, das Projekt Jupiter.
Seine Geschichte wurde in bunten Multimediabildern erzählt,
ein Werbe- oder Propagandastreifen, der mich an das Zeug
erinnerte, das früher die mit atomarer Abschreckung
befassten Firmen unter die Leute gebracht hatten. Der Putsch der
Weltraumbewegung, erzählt als ein heroisches letztes
Aufbäumen gegen den Barbarenmob und repressive Regierungen;
die exponentielle Entwicklung lange unterdrückter
Tiefentechnologien, die all ihre Versprechen eingelöst
hatten: billige Weltraumflüge, totale Kontrolle der Materie
bis zur molekularen Ebene hinab, das Ende des Alterungsprozesses,
die Abschaffung des Todes und nicht zuletzt die Übertragung
von Bewusstseinsinhalten auf Maschinen.
    Dies alles bedauerlicherweise bloß für eine
Minderheit verfügbar. Damit hatte man rechnen müssen,
doch es wurde verschlimmert durch die verständliche Angst
der Mehrheit vor der gefährlichsten Technik, die jemals
entwickelt worden war, und durch das sich ausweitende Chaos,
dessen Anfänge ich selbst miterlebt hatte. Die verzweifelte
Flucht aus der zusammenbrechenden Zivilisation der Erde,
möglich gemacht durch die Arbeit von Zehntausenden
Gefangenen – denen man ein kopiertes Ich versprochen und
angefertigt hatte, welches weiterleben würde, ganz gleich,
was mit ihnen geschah – und organisiert von Tausenden
Freiwilligen und Kadern der Weltraumbewegung.
    Darauf folgte der Bruch zwischen Innerem und
Äußerem System – ein Thema, das so flüchtig
abgehandelt wurde, dass man daraus schließen konnte, dass
etwas verschwiegen wurde. Die meisten existierenden
Weltraumsiedlungen, im Erdorbit, auf dem Mond, dem Mars und im
Gürtel, waren offenbar Opfer einer düsteren
Konsolidierungs- und Wiederaufbauideologie geworden und strebten
danach, der leidgeprüften Erdbevölkerung zu helfen. Die
Erdpfleger, wie man sie nannte, wurden als hasserfüllte,
neidische und rückwärtsgewandte Kleingeister
dargestellt.
    Die Bewohner des Äußeren Systems waren ihren
eigenen Weg gegangen – weiter ins All hinein. Bis zum
größten Planeten des Sonnensystems. Hier war der Stoff
für die gewagtesten Träume, die kühnsten
Projekte.
    Das Projekt, das diese Männer und Frauen, upgeloadeten
Bewusstseine und künstlichen Intelligenzen in Angriff
nahmen, war wahrhaft kühn. Sie sprengten Ganymed, schafften
Megatonnen Gas aus der Jupiteratmosphäre ins All hinauf,
wandelten einen kleinen Teil davon in intelligente Materie um und
zogen sich in deren virtuelle Realitäten zurück. Nicht
um zu träumen, oder jedenfalls nicht ausschließlich zu
diesem Zweck. Sie statteten die feine Materie des Universums mit
Bewusstseinen aus, deren Fähigkeiten ohne Beispiel waren.
Sie hatten Hintertürchen in den physikalischen Gesetzen
entdeckt und nutzten sie nach Kräften. (Raum-Zeit-Manipulation mit nichtexotischer Materie, Malley, I. K., Phys. Rev. D 128(10), 3182, (2080).)
    Außerhalb der Makros hatten sie Zehntausende
menschlicher Bewusstseine zurückgelassen, deren Denkprozesse
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