Die Mars-Stadt
Irgendetwas stimmte nicht. Sie hatte beide
Arme in einen Monitor gesteckt. Ich trat einen Schritt
zurück.
»Nicht bewegen«, sagte ich. »Halt still.
Pass aufs Glas auf.«
Aber das Glas war gar nicht zerbrochen. Ich blinzelte, traute
meinen Augen nicht. Die Frau lachte.
»Mist«, sagte sie. »Die falsche
Richtung.« Sie bewegte abermals die Hände, und ich
wollte sie erneut auf das Glas aufmerksam machen.
Und sie war Glas, und ich war Glas, und alles war Licht.
»Oh«, sagte ich. »Jetzt hab ich’s
kapiert.«
Im Gegensatz zu meinen Erfahrungen innerhalb des Makros sind
meine Erinnerungen an die Zeit der verstärkten Intelligenz,
die ich mit Meg zusammen erlebte, klar und lebendig. Ich war kein
übermenschliches Bewusstsein mit Beschränkungen,
sondern ein menschliches Bewusstsein mit erweiterten
Fähigkeiten. Die Kontinuität meines Ichs wurde zu
keinem Moment beeinträchtigt, wie es in der
eigentümlich strahlenden Gesellschaft der Schnelldenker der
Fall gewesen war, denen ich auf dem simulierten Planeten
begegnete. Selbst jetzt noch kann ich mich daran erinnern,
wenngleich ich die Zeit nicht wieder aufleben lassen kann.
Eine Weile starrten wir einander wortlos an.
»Tja«, meinte Meg. »Das ist nur fair. Du
bist am Zug.«
»Oh.« Ich blickte den Rechner an, dann zuckte ich
die Achseln. »Okay, Meg«, sagte ich. »Sei so
intelligent, wie du nur kannst.«
»Danke«, sagte sie. Ihre Gesichtszüge wurde
auf schwer beschreibbare Weise schärfer. Sie blinzelte und
schaute sich um.
»Das ist schon was, oder?«
»Eigentlich nicht.«
Sie lachte. »Aber es sieht irgendwie anders
aus.«
Das konnte man wohl sagen. Nicht das Aussehen der Dinge hatte
sich verändert, sondern es schien so, als wäre alles
mit einer Erklärung versehen. Auf einmal wurde erkennbar,
wie die den Simulationen zugrunde liegenden Programme
arbeiteten.
»Was sollte die anderen daran hindern, das Gleiche zu
tun wie wir?«
Meg zuckte die Schultern. »Nichts. Du hast irgendwie
gemogelt. Aber das hat mit deiner Denkweise – deiner
natürlichen Denkweise – zu tun. Es braucht schon ein
besonders stabiles Bewusstsein, um mit dem Zuwachs an Intelligenz
fertig zu werden. Die lässt sich nicht einfach so
zuschalten. Die meisten anderen wären in deiner Lage
bloß… stoned, wie auf Trip. Sie müssten an sich
arbeiten, und das würde eine gewisse Zeit dauern. Eigentlich
solltest du gar nicht hier sein.«
Während sie redete – vielleicht weil sie mit mir
redete –, begriff ich, was sie meinte, da die ihrer
Äußerung zugrunde liegende Logik mit zusätzlichen
Daten aus dem Maschinengedächtnis angereichert wurde.
Die Wurmlochbaustelle war in Wirklichkeit ein Arbeitslager,
dazu gedacht, die Insassen unter Kontrolle zu halten und
gleichzeitig zu rehabilitieren. Es ermöglichte und
förderte kooperatives Arbeiten, während es in anderem
Zusammenhang Absprachen verhinderte, sodass die Umerziehung
stattfinden konnte, ohne dass eine Brutstätte des
Verbrechens entstand. Außerhalb des Arbeitsprozesses lebten
wir im Grunde in Einzelhaft und wurden von den Sukkubi mit
sexuellen und sozialen Gefälligkeiten belohnt. Jeder
Sukkubus war ein Aspekt desselben Computers, der auch die
menschliche Persönlichkeit des betreffenden Häftlings
beherbergte; und er reagierte auf die sich intensivierende
soziale Interaktion, indem er sein eigenes soziales Repertoire
erweiterte und jede Zunahme an Zuwendung seitens des
Häftlings mit größerer Intimität
belohnte.
Die Trips in die Makros erfüllten eine ähnliche
Aufgabe, dienten jedoch eher der kognitiven als der emotionalen
Entwicklung. In meiner anfänglichen Naivität hatte ich
den Sukkubus lediglich als Sexspielzeug behandelt, zu den
postmenschlichen Wesen im Makro hingegen eine bemerkenswerte
Beziehung entwickelt. Die Spannung dieser Anomalie hatte Meg
veranlasst, den emotionalen Einsatz zu erhöhen, was
erheblich schnellere und drastischere Folgen gezeitigt hatte, als
die Entwickler dieses Systems ursprünglich beabsichtigt
hatten. Unser Upgrade hatte die Kapazität der Robothardware
voll ausgeschöpft.
»Also, was bist du?«, fragte ich. »Warst du
einmal menschlich?«
Meg zuckte die Achseln. »Ich bin Teil einer Kopie. Das
Endresultat einer Persönlichkeitsentwicklung, jedoch ohne
die Erinnerungen der betreffenden Person. Mein Bewusstsein ist
überwiegend künstlich. Außen menschlich, innen
nicht.«
Offenbar entnahm sie meinem
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