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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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heimgekehrt.
    Wir aßen Brot, Käse und Obst und tranken Wein und
sprachen über das großartige Projekt, an dem wir alle
beteiligt waren. Sie machten mir klar, dass mein Beitrag heroisch
und von Ausschlag gebender Bedeutung war. Materie im unwirtlichen
All umherzubewegen! Wie aufregend! Wie tapfer! Doch ich wollte
von ihrer Arbeit erfahren, und sie erzählten mir davon. Ich
verstand alles, was sie mir über das Raum-Zeit-Tor
erzählten, über die Probleme und die Fortschritte, die
sie erzielten. Die Malley-Gleichungen waren so einfach wie
Arithmetik, so vertraut wie ein Kochrezept.
    Hin und wieder jedoch, wenn ich gerade mit einer bestimmten
Person sprach, unterhielten sich die anderen untereinander, und
diese Gespräche gingen an mir vorbei. Ich verstand sie
beinahe, musste mich aber damit abfinden, dass es neben dieser
hohen Tafel noch höhere Tafeln gab, an denen meinen
reizenden Kollegen verkehrten. Sie behandelten mich ohne
Herablassung. Irgendwann würde ich mich zu ihnen
gesellen.
    Dabei beschlich mich jedoch ein seltsamer Gedanke, eine Frage:
Bedeutete ihnen dieser Ort vielleicht das Gleiche wie mir meine
beengte Behausung, die Zigaretten und der Sukkubus?
    Die Pracht des Sonnenuntergangs verschlug mir die Sprache,
löschte alle Gedanken aus. Das letzte grüne Aufleuchten
quittierten wir mit einem kollektiven Stoßseufzer. Dann
sprangen wir alle, Götter und Göttinnen, aus der
Schutzhütte ins kühle Gras hinaus. Wir spielten
ausgelassen wie Kinder und fickten wie Bonobas.
    Ich schlief unter dem Sternenhimmel ein, in den Armen einer
blondhaarigen Göttin.
    Ich erwachte im Robot.
    Als sich der Makro von mir entfernte, hatte ich das
Gefühl, etwas werde mir aus der Brust gerissen. Meine
Erinnerung an das, was ich gewusst und empfunden hatte, war so
frisch, dass mir der Verlust der Klarheit und Freude nahezu
unerträglich war. Ich erinnerte mich an meine
Gefährten, nicht jedoch an ihre Namen. Unsere Unterhaltung,
die kristallklaren Gleichungen, sogar die einzelnen Worte, die
wir ausgetauscht, und die Formeln, über die wir nachgedacht
hatten, verblassten wie die Erinnerung an einen Traum. Der
Trennungsschmerz und die Qual der Vereinzelung nahmen mich
vorübergehend vollständig gefangen. Dann plötzlich
die Erleichterung – in zehn Tagen war es wieder so
weit!
    Alles andere war unwichtig.
     
    Als der erste Schmerz überwunden war, stellte ich fest,
dass sich mein Verständnis meiner Arbeit und meine
Einstellung dazu verändert hatten. Zum ersten Mal sah ich
das Gebilde, an dem wir arbeiteten, als das, was es wirklich war.
Was bislang ein chaotisches Gewirr von Streben gewesen war,
entpuppte sich nun als das Gerüst eines
Visser-Price-Wurmloch-Tores und als Startrampe für ein
Raumschiff. Ein Teil, dort drüben, würde
bleiben; die anderen würden zusammen mit dem Schiff
verschwinden. Der Ring bot sich meinem Blick als der
größte jemals gebaute Teilchenbeschleuniger dar, und
Jupiter – mein Gott, der riesige Jupiter! – war der
Treibstoff und die Reaktionsmasse des Raumschiffs.
    Ich senkte den Kopf und überblickte den Teilbereich des
Projekts, an dem mitzuwirken ich die Ehre hatte. Um diesen
Interferenzmodulator abzustimmen, war ich geboren und
wiedergeboren worden. Ich machte mich an die Arbeit mit der
Freude eines Holzschnitzers, der in der Hoffnung auf ein besseres
Jenseits sein Leben einer Kathedralentür gewidmet hat.
    Alles andere war unwichtig.
    Bei meinem nächsten Besuch im Makro traf ich auf
dieselben Menschen. Seit unserer letzten Begegnung hatten sie
sich verändert, denn in ihrem sich immer mehr
beschleunigenden Leben war ein weiteres Jahrhundert verstrichen.
Öfter als beim ersten Mal konnte ich ihrer Unterhaltung
nicht folgen. Sie waren einfühlsam und freundlich, was das
Ganze nur umso schmerzhafter machte. Doch bei der Trennung
überstieg auch diesmal wieder die Vorfreude auf die
nächste Begegnung die Trauer über den Verlust: Die
Tür würde sich schon bald wieder auftun.
    Zwei Tage später geschah es, ohne jede
Vorankündigung. Zuvor hatte man lediglich die
Arbeitskräfte aufgefordert, das betroffene Gebiet zu
verlassen. Die Makros hatten sich bereits zurückgezogen und
sich annähernd kreisförmig zwischen den Streben
verteilt. Während wir zum Rand des Gebildes eilten und uns
dort in wortlosem Staunen festklammerten, kam alle Arbeit zum
Erliegen.
    Die Streben in der Mitte des Gebildes gerieten in Bewegung,

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