Die Mars-Stadt
du?«
Sie wälzte sich ein Stück von mir weg und musterte
mich ernst.
»Denkst du auch so?«, fragte sie.
»Was meinst du?«
»So wie Reid. Wie die anderen Leute.«
»Natürlich nicht.« Ich schnaubte laut.
»Ich wäre ja ziemlich blöd, wenn ich glauben
würde, ich dächte nicht.«
»Und was ist mit mir?«
»Mit dir?« Ich zog sie näher an mich heran.
»Über dich denke ich auch nicht so.«
»Früher aber schon.«
»Das war etwas anderes. Da wusste ich’s noch nicht
besser.«
Zu meinem Erstaunen lachte sie erleichtert.
»Ich auch nicht.«
Während die Arbeit am Kanal voranschritt, war ich mit
einem Problem befasst, das mich zunehmend fesselte: Ich versuchte
zu begreifen, was ich bei meiner letzten Begegnung mit dem Makro
gelernt hatte. Dies plagte mich wie ein nur undeutlich erinnerter
Traum. Auch Meg interessierte sich dafür; sie war noch nie
in einem Makro gewesen und konnte gar nicht genug davon
erzählt bekommen. Zur posthumanen Welt hatte sie eine
größere Affinität als ich, was kaum verwundern
mag, denn schließlich war sie in einem viel weiter gehenden
Sinn ihr Produkt als ich.
Wir bauten in unserem virtuellen Tal eine virtuelle Maschine.
Ich versuchte, mich an einen Aspekt des Rätsels zu erinnern,
während Meg unser gemeinsames Betriebssystem nach Spuren der
damit einhergehenden Rechenaktivität durchforstete. Wurde
sie fündig, griff sie ein, holte ein Stück
Maschinencode hervor und verpasste ihm ein Interface.
Anschließend umkreisten wir den Turm und suchten nach einer
Stelle, wo es sich einfügte. In Wirklichkeit – wenn
man denn hier von Wirklichkeit sprechen will – versuchte
ich, Ordnung in meine chaotischen Erinnerungen zu bringen. Wenn
ich den Körper der Robots als meinen eigenen empfand (der
Drahtrahmen stand noch in unserem Vorderzimmer), erschien mir
das, was ich erlebt hatte, eher als etwas, das ich bald verstehen
würde, denn als etwas, woran ich mich undeutlich
erinnerte.
Nach einigen Monaten ragte unser babylonischer Turm wie ein
übergroßer Elektrizitätsmast in unserem
ländlichen Tal auf. Wir bezeichneten ihn als ›die
Installation‹, und trotz unserer erweiterten Intelligenz
ahnten wir nicht, worum es sich eigentlich handelte.
Das große Werk war vollbracht. Ich beobachtete vom Ufer
aus, wie zwei Grabmaschinen die bröckelnde Erdwand
durchbrachen, die den bloß sumpfigen Boden des Steinkanals
vom bereits teilweise gefluteten Kanalsystem der Stadt trennten.
Einen Moment lang wurden sie vom Wasser umspült, dann
schleppten sie sich tropfend an Land. Vom anderen Ufer, wo sich
eine kleine Schar Zuschauer versammelt hatte, ertönte
Jubelgeschrei. Von den umstehenden Baumaschinen empfing ich einen
Funkschauer robotischer Genugtuung. Dann, wieder sachlich
geworden, signalisierten sie ihre Bereitschaft und stapften oder
rollten davon.
Reid war ebenfalls anwesend. Er hielt eine kurze Ansprache,
von der ich nur Bruchstücke mitbekam. Die von seiner
Ausrufung eines historischen Moments etc. zweifellos ergriffene
Menge zerstreute sich. Wir starrten einander eine Weile an, dann
watete ich zu ihm hinüber.
»Ich wusste, dass du noch da sein würdest, wenn die
anderen längst gegangen sind«, sagte ich. Ich
schwenkte einen Greifarm. »Ansonsten fällt es mir ein
bisschen schwer, euch zu unterscheiden.«
»Sehr witzig, Wilde«, sagte er. »Wird
allmählich Zeit, dass du dich wieder der Menschheit
anschließt, was meinst du?«
»Oder dass ich mich ihr anschließe«, meinte
Meg. Die Stimme über meiner Schulter kam aus dem
Lautsprechergrill des Robots. Reid zögerte nur ganz kurz,
dann nickte er lächelnd.
»Ja«, sagte er. »Ich habe mir erlaubt,
für euch beide Klone anzufertigen.«
»Woher hast du meinen genommen?«, fragte Meg.
»Wir verfügen über Millionen menschlicher
Zellproben«, sagte Reid. »Einige von ihnen stammen
von Menschen, die zu den Toten gehören, aber das betrifft
nur wenige. Vor der Singularität war das Sammeln von
Gewebeproben weit verbreitet – schließlich hat man
sie zur Regeneration und zur Verjüngung gebraucht. Deine
Zellen, Meg, stammen von einer obskuren Videodarstellerin. Ich
bezweifle, dass sie auch ihr Gehirn hat scannen lassen, und
daher…«
»Ich möchte mir zukünftige Peinlichkeiten
ersparen«, sagte Meg. »Stellt euch vor, ihr
würdet auf einer Party einer Frau begegnen, die den gleichen
Körper hat wie ihr. Würdet ihr nicht auf der Stelle tot
Weitere Kostenlose Bücher