Die Mars-Stadt
umfallen?«
»Irgendjemand bestimmt«, meinte ich.
Wir näherten uns am Kanalufer entlang der im Entstehen
begriffenen Stadt. Bislang kannte ich sie bloß aus der VR.
Mit ihrer nach wie vor vergleichsweise geringen Anzahl von
Bewohnern ähnelte sie einer verlassenen Siedlung von Aliens,
die nun von unternehmungslustigen Menschen in Besitz genommen
wurde.
Und von anderen Wesen. Der erste Hominide, den ich sah –
ein großkopferter vorbeischlendernder Schimpanse, der sich
schnatternd mit zwei halbwüchsigen Menschen unterhielt
–, erstaunte mich.
»Ach, die«, meinte Reid beiläufig.
»Alte Experimente. Die Wissenschaftler der US/UN waren
ziemlich krank im Kopf. Gib bloß mir nicht die Schuld
daran, Mann. Ich hab den armen Kerlen einen Gefallen getan, als
ich sie als Arbeitskräfte einspannte. Die Wissenschaftler
waren alle dafür – wie lautete gleich noch der
reizende Ausdruck? –, sie zu opfern.«
Wir gelangten zu einer Art Lagerhaus, das bereits verfallen
wirkte, obwohl es offenbar erst kürzlich errichtet worden
war. Reid öffnete die Tür mit der Handfläche, und
wir traten in eine kühle, hundert Meter lange und zwanzig
Meter breite Halle, in der lauter Retorten in Reihen angeordnet
waren. Jede Retorte war drei Meter lang, an der Oberseite
transparent und am einen Ende mit jeder Menge Elektronik
ausgestattet. Bis auf zwei waren alle leer, und zu diesen beiden
geleitete mich Reid.
Ich und die hinter meinem Gesichtsfeld verborgene Meg beugten
uns auf unsere scheinbar schlafenden Körper hinunter, die in
einer klaren Flüssigkeit schwebten. Megs Körper sah
nicht anders aus, als wie ich sie immer vor mir sah. Der meine
erinnerte mich daran, dass die körperliche Erscheinung, die
ich aus der Zeit meines Todes im Gedächtnis bewahrt hatte,
eher die eines verjüngten als die eines jungen Mannes
gewesen war. War ich jemals so… unschuldig gewesen? Es kam
mir beinahe verbrecherisch vor, meine gehackte, kopierte, mit
Lebenserfahrung befrachtete Persönlichkeit durch die Kabel
zu schicken, die sich mit seinem in der Flüssigkeit
treibenden Haar verheddert hatten.
»Wo sind die anderen?«, fragte ich.
»Ihr seid die beiden letzten«, antwortete Reid.
»Alle anderen sind schon fertig.« Er machte sich an
den Verbindungskabeln zu schaffen und wandte sich mit fragendem
Blick zu mir um.
»Du zuerst«, sagte Meg.
Ich deutete auf die Retorte mit meinem Klon.
»Ich glaube, du solltest besser die Gliedmaßen
einziehen«, sagte Reid. »Der Vorgang nimmt ein paar
Stunden in Anspruch.«
Ich ließ mich auf dem Boden nieder. Reid beugte sich
über mich und befestigte ein Kabel an meinem Rumpf. Ich
dachte an meine erste lebensverlängernde Behandlung, als mir
das Herz stehengeblieben war. Damals hatte ich nicht geahnt, wie
viele Meere austrocknen und welche Felsen schmelzen würden,
bevor wir unsterblich würden. Ich dachte an die kasachischen
Schneewehen und die verblassenden Farben der Welt, an Reids
Gesicht und an Myras. Ich dachte an das schwindende Licht in der
Geistwelt des Makros und wie Meg mich gerettet hatte. Dies
würde mein vierter Tod sein. Ich hatte mich noch immer nicht
daran gewöhnt, doch die Liebe hatte mir stets zur Seite
gestanden, und so war es auch jetzt.
Alles hörte auf.
Ich sah ein Paar Cowboystiefel, eine Jeans, ein Jackett und,
als ich den Blick hob, Reids ausdrucksloses Gesicht.
»Tut mir Leid, Mann«, sagte er, während ich
mich aufrichtete. »Es hat nicht funktioniert. Weder bei dir
noch beim Sukkubus.«
Ich spürte Megs Anwesenheit, als hielte mich jemand im
Dunkeln bei der Hand.
»Was soll das heißen, es hat nicht
funktioniert?«
»Eure Bewusstseine sind mit menschlichen Gehirnen nicht
mehr kompatibel.« Er zuckte die Achseln. »Das
Interface hat blockiert. Der Speicherinhalt eures Rechners
lässt sich nicht auf die synaptischen Verbindungen
übertragen. Hat wohl mit den Vorgängen im Makro zu
tun.«
»Die anderen waren auch in den Makros«, erwiderte
ich, obwohl ich seine Antwort bereits kannte.
»Aber nicht als sie durchdrehten«, erklärte
er. »Und daran bin ich schuld. Wie ich schon sagte, es tut
mir Leid.«
In diesem Moment spiegelte sich in seinem Gesicht aufrichtiges
Bedauern wider. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er
von Schuldgefühlen nichts hielt und dass seine Zerknirschung
nicht lange anhalten würde.
»Kann man denn gar nichts tun?«, fragte Meg.
Reid schüttelte den Kopf. »Das
Weitere Kostenlose Bücher