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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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›unbeschriebene‹ Klone herzustellen
und sie mit Roboterbewusstsein auszustatten, vertiefte sich die
Kluft zwischen Menschen und Maschinen noch mehr.
    Abgesehen von einer Minderheit von Dissidenten, die sich als
Abolitionisten bezeichneten. Einige von ihnen hatten die
Vorstellungen eines berühmten anarchistischen Agitators
namens Jonathan Wilde im Gedächtnis bewahrt. Sie glaubten
fest daran, dass sein Vermächtnis unsterblich sei. Wir
hielten uns von ihnen fern.
    Teilweise als Reaktion auf die Abolitionisten wurden die Ideen
im Hinblick auf ›Roboterrechte‹, einen Neustart der
Rasse der Schnelldenker und der Wiedererweckung der Toten alle
miteinander vermischt und pauschal abgelehnt. Reid machte sich
zum Wortführer der Abolitionistengegner. Wenn es jemals zur
Wiedererweckung der Schnelldenker kommen sollte, dann in einer
Zukunft, die so fern war wie der Kommunismus in der Vorstellung
der Kommunisten.
    Eines Abends, als unser Raupenfahrzeug in der Hochwüste
gerade durch ein ausgetrocknetes Flussbett knirschte, vollendeten
wir den Turm. Wir begaben uns durch das virtuelle Tal zu unserem
Haus zurück.
    »Bereit?«, fragte ich Meg.
    »Ich kann’s gar nicht mehr erwarten«,
antwortete sie.
    Ich bremste das Fahrzeug ab und trat in den Rahmen.
    In der vergangenen zwei Jahrhunderten war ich für den
Unterschied zwischen einem virtuellen und einem realen
Körper empfänglich geworden. Ungeachtet seiner
scheinbaren Körperhaftigkeit, all der Lust, die er zu
reproduzieren oder erfinden vermochte, und der überaus
realistischen Schmerzen und des Unbehagens, das er bisweilen
(aufgrund der Konsistenzregeln) empfand, fehlte dem virtuellen
Körper doch eine entscheidende Kleinigkeit, nämlich
nicht mehr und nicht weniger als die zahllosen subtilen
Zusammenstöße und Impulse, die sich aus der
täglichen Auseinandersetzung mit der Dinghaftigkeit ergaben.
Wenn ich mich mit dem Robotkörper identifizierte, kam ich
mir menschlicher vor als in der Simulation einer menschlichen
Hülle.
    Und so war es auch jetzt. Das abgeflachte Oval meines
Metallrumpfs schmiegte sich in die Kabine, die Gliedmaßen
waren eingezogen, die Kabel mit der Steuerung des Raupenfahrzeugs
verbunden. Meine Sinne registrierten die Strahlung der Sterne,
das schwache Infrarot des kalten und noch immer weiter
abkühlenden Sandes, die verstohlenen Regungen und die
heftigen Zusammenstöße des verbliebenen
Wüstenlebens mit dem eindringenden fremden Leben.
    Ich blickte mich um und wartete auf eine Offenbarung. Die Welt
war die gleiche geblieben. Ich hatte anhand meiner Erinnerungen
und mithilfe der Datenschnipsel, die ich dem dekadenten Makro
entrissen hatte, im Geiste einen Turm errichtet, und nichts hatte
sich verändert.
    Das Malley Mile – die uns zugewandte Seite –
befand sich am gewohnten Platz in der Tiefe des Himmels. Ich sah
zu der Stelle hoch, wo es kreiste. Auf der anderen Seite, in
einer anderen Zeit, befand sich der Jupiter. Seine
Oberfläche hatte sich in der Zwischenzeit vermutlich
ausgedehnt, der Abstand zur Umlaufbahn des Wurmlochs sich
verringert. Es würde – ich überlegte kurz –
in einem Jahr plus/minus einer Größenordnung mit dem
Planeten zusammentreffen. Der genaue Zeitpunkt war schwer zu
bestimmen; zu viele Unbekannte. Eine Näherungsbestimmung mit
einer Ungenauigkeit von einer Größenordnung war nach
all der Zeit jedenfalls gar nicht so schlecht: In spätestens
zehn Jahren und frühestens einem Monat würde das Malley
Mile mit dem größten Makro von allen zusammentreffen,
einem in denkende Materie umgewandelten Gasriesen.
    Es war ein großartiger Plan, ein weitsichtiger Plan, von
dem ich bei meinem letzten Aufenthalt im untergehenden Reich der
Schnelldenker erfahren hatte. Sie würden ihre physischen und
geistigen Prozesse verlangsamen, ihre Entwicklung nahezu zum
Stillstand bringen; und dann würden diejenigen, die sich
ihre geistige Gesundheit bewahrt hatten, die anderen mit
buchstäblich kalter Entschlossenheit ausmerzen.
Anschließend würden sich die Überlebenden
mithilfe der Ressourcen des Jupiter abermals vermehren. Diesmal
würden sie so lange warten, bis ihr Reich das Malley Mile
umfasste: das Tor zum Ende der Zeit.
     
    Der Schock der Erkenntnis zerstörte die Illusion, ich
hätte dies immer schon gewusst. Mir wurde klar, dass der
Turm mich doch verändert hatte. Er hatte mir dieses neue,
die Malley-Gleichungen, die Pläne der Makros und mehr

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