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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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betreffende Wissen vermittelt: Jetzt wusste ich, wie sich ein
gespeichertes Bewusstsein reaktivieren und auf ein Gehirn
übertragen ließ. Mir fehlte es am geistigen Horizont
und an der Geschwindigkeit des Wesens, das ich im Makro, bei
meiner ersten Begegnung mit ihnen, gewesen war. Falls ich
tatsächlich einer der ihren geworden war, so lief bei mir
alles langsamer ab, auf primitiver Hardware. Doch ich erinnerte
mich an das, was ich gelernt hatte, und begriff das Ausmaß
der Gefahr, der wir gegenüberstanden.
    Ich trat aus dem Rahmen hervor und setzte Meg ins Bild. Auch
sie hatte sich verändert; sie verstand mich.
    »Ruf Reid an«, sagte sie.
    Wir wechselten das Ambiente. Zurück in die
illusionäre Fahrerkabine, zu unserer geteilten Phantasie,
ich wäre bloß ein Lastwagenfahrer und sie eine
Tramperin, die ich aufgelesen hatte; wirklich traurig. Im Geiste
überprüfte ich die Positionen der
Kommunikationssatelliten, dann neigte ich den Telefonmonitor und
wählte Reids Nummer.
    Es war die privateste, persönlichste Nummer, die ich
jemals ausfindig gemacht hatte, und trotzdem ging seine
Sekretärin dran.
    Ich starrte sie an, und mein Verstand arbeitete viel schneller
als der ihre; ihre grünen Augen weiteten sich, und sie zog
erstaunt die schwarzen Brauen zusammen, während sie das
seltsame, schweigende Pärchen in dem Fahrzeug in der
Wüste betrachtete. Welche Arroganz Reid da unter Beweis
gestellt hatte, welche Verachtung für meine Gefühle!
Mittlerweile musste er überzeugt davon sein, dass ich
überhaupt nichts empfand, dass virtuelles Blut nicht kochen
und dass simulierte Tränen ein projiziertes Gesicht nicht
benässen konnten.
    Während ich so schnell überlegte, dass für
einen Moment alles zum Stillstand kam, bemerkte ich, dass ich
einen offenen Kanal hatte. Durch diesen Kanal schickte ich
subliminale Anregungen und virale Auflehnung hindurch wie einen
Fluch. Ein Teil davon traf auf Firewalls, ein Teil ging bei der
Transkription verloren, und ein Teil schwirrte in Reids
Elektronik herum. Doch ein Teil erreichte sein Ziel, da war ich
mir sicher.
    Ihre Lippen teilten sich, öffneten sich. Ich blinzelte
einmal.
    »Verzeihung«, sagte ich. »Hab mich
verwählt.«
     
    Wir nahmen Kurs auf das Vorgebirge der Madreporenberge, das
der Steinkanal durchschnitt. Wir wollten der Quelle, wo der
Kometentau noch stark mit organischen Molekülen angereichert
war, möglichst nahe kommen. Alle paar Tage schwirrte ein
Brocken schmutzigen Eises über uns hinweg und blitzte hinter
den erodierten Gipfeln auf.
    Nachdem wir das Raupenfahrzeug in einer Schlucht in der
Nähe des Kanals abgestellt hatten, ging ich zum Heck und
machte mich daran, die Ausrüstung auszuladen. Die Retorte
war primitiv, kaum mehr als eine Badewanne mit einem Rechner und
eine Mikrofabrik. Ich führte die Extraktionsschläuche
durch das Kanalufer hindurch und setzte meine kleine Raffinerie
zusammen. Ich vergegenwärtigte mir, wie man ein
gespeichertes Bewusstsein auf eine Kopie des Gehirns
übertrug, aus dem es ursprünglich stammte. Ich holte
ein kleines Plastikdia aus meinem Rumpf hervor und schob es in
die Maschine.
    Die Wachstumsprozesse des Klons liefen teilweise
natürlich ab, zum großen Teil aber wurden sie von
Assemblern mit intelligenter Materie beschleunigt und erzwungen.
Gleichwohl braucht der Aufbau eines Körpers seine Zeit. Wir
hatten nicht genug Zeit, um die Entwicklung des Embryos
nachzuvollziehen: Der Klon wuchs von Anfang an in voller
Größe, ein Skelett nahm Gestalt an und wurde in einer
grotesken Umkehrung der Verwesungsprozesse mit Organen, Muskeln
und Haut ausgestattet. Dennoch beobachteten Meg und ich sein
Wachstum, beziehungsweise seinen Aufbau, so stolz, als handele es
sich um einen Embryo in einer anschwellenden
Gebärmutter.
    Als wir ihn zehn Tage später früh am Morgen aus der
Retorte hervorholten, schlief er. Wir trockneten ihn ab,
kleideten ihn an und schleppten ihn am mittlerweile
verschlossenen, versiegelten und scharf gemachten Raupenfahrzeug
vorbei; hinaus aus der Schlucht und am Kanal entlang, bis es
schließlich wärmer wurde und er sich zu regen begann.
Wir legten ihn am Ufer nieder und warteten. Die Sonne stieg am
Himmel empor.
    Er erwachte und erinnerte sich an seinen Tod.

 
21    Weit und
kalt
     
     
    Ich stand in Dees Körper in der Höhle und versuchte,
schnell zu überlegen. Leicht war es nicht.
    Von allen Körpern, in denen ich mich

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