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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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zur offenen Tür
hinaus.
    Ein anderer Laden verkauft Drogen und Pfeifen; an einem
Zeitungsstand entdeckt Dee die Abolitionistenzeitschrift neben
obskureren Publikationen wie Industrielle Landwirtschaft,
Nano-Marktplatz, Atomtechnik; eine Bude bietet verwitterten
Nippes feil, angebliche ›Alien-Artefakte aus der Vorzeit
des Neuen Mars‹; während Dee alles kritisch
beäugt, brummt Ax vor sich hin und raucht. So trivial dies
ist, hat Dee doch Freude an seiner Weigerung, sich menschlichen
Gewohnheiten anzupassen; eine Übung in freiem Willen.
    Als sie jedoch zur ersten Boutique gelangen, einer Höhle
voller Kleidung und Accessoires, teilt sie Ax’
offensichtliche Freude. Er geleitet sie hinein, sie verbringen
darin eine Stunde, die so schnell verstreicht wie eine Minute,
und dann geht es gleich weiter zum nächsten Kleiderladen und
dann zu den kleinen Studios der Kosmetikkünstler und
schließlich zu den Juwelierlabors. Die ganze Zeit über
scharwänzelt Ax mit unbewusster Intimität um sie herum,
die sich mit dem Grad ihres Bekleidet- oder Entkleidetseins nicht
ändert. Sie kann erkennen, dass sein Vergnügen
ästhetischer, nicht erotischer Natur ist. Die Sex-Software
ist empfänglich für derlei Unterscheidungen; sie vermag
die Hautrötung, den Pulsschlag und die Kontraktion einer
Pupille zu deuten und weiß, dass mit der Berührung des
Knaben kein Lustgefühl einhergeht.
    Am anderen Ende der Gasse liegt ein Café.
Plötzlich fällt die Mittagssonne wieder in die Gasse,
und sie nehmen Platz, trinken Kaffee und rauchen inmitten ihrer
Einkäufe. Dee hat ihren eher nüchternen Stil durch
etwas Lesbisch-Punkiges ersetzt und sich mit Lederkorsett und
Spitze, Satin und Seide, Dornen und Ziernägeln
herausgeputzt. Ein Look, der die meisten Zwölfjährigen
gleichgültig gelassen, die meisten Männer erregt
hätte. Ax musterte sie wie ein von ihm selbst erschaffenes
Kunstwerk, das sie gegenwärtig ja auch ist.
    Dee spielt mit dem Feuerzeug, schaut hoch unter ihrem
neugestylten Pony. Sie setzt zu einer Bemerkung an, weiß
aber nicht, was sie fragen soll.
    »Spar dir die Frage«, sagt Ax. »Das
heißt, falls deine Verhaltensmuster auch Verlegenheit
aufweisen. Was Sex angeht, läuft das Spiel ohne mich. Das
heißt, manchmal bin ich am Spielfeldrand.« Er
schnippt mit den Fingern. »Ich bin nicht schwul, auch kein
Neutrum. Bloß ein Junge: ein ewiger
Präadoleszent.«
    »Warum?«, fragt Dee. »Ist das eine
Krankheit?«
    »Unheilbar«, meint Ax grinsend. »Dort, wo
die Gene auf die kleinen Maschinen treffen, sitzt ein Fehler. Ein
Virus. Haben meine Eltern von einer langen Reise mitgebracht. Zum
Glück würde er erst nach der Pubertät wirksam
werden. Daher habe ich mein biologisches Alter ein wenig vorher
fixiert.«
    »Und es gibt keine Therapie?«
    Ax’ Mundwinkel sinken herab. »Wenn ja, dann ist
sie bei den Schnelldenkern zu finden. Also sollte ich’s
wohl eher vergessen. Aber ich konnte es nicht vergessen. Einer
der Gründe, weshalb ich zum Abolitionisten geworden
bin…« Er lacht. »Meine Chancen, jemals ein
Mann zu werden, sind ebenso groß, wie dass die Toten
wiederauferstehen und die Schnelldenker wieder aktiv werden.
Pffft.«
    »Hmmm.« Dee ist traurig zumute. Welch eine
Verschwendung. Da hat sie eine bessere Idee. »Du
könntest als Frau heranwachsen«, schlägt sie
vor.
    »Nein, danke«, erwidert Ax, zieht einen
Schmollmund und posiert einen Moment. »Ich hab schon dran
gedacht, aber die Docs meinen, das Virus würde auf Hormone
beiderlei Geschlechts reagieren. Deshalb muss ich halt auf beides
verzichten, und nachdem ich eine Weile getobt und geschmollt
hatte, wie du dir denken kannst, sagte ich mir, ich könne
ebenso gut als jemand Karriere machen, den ein
eifersüchtiger Mann gerne mit seiner Frau alleinlassen
würde.« Er inhaliert Rauch und stößt ihn
elegant wieder aus. »Als professioneller selbständiger
Eunuch und Teilzeit-Lustknabe.«
    Während Dee sich das durch den Kopf gehen lässt und
sich fragt, ob Ax’ Schicksal alles in allem nicht doch
schlimmer ist als das ihre, setzt er hinzu:
    »Bevor ich die Wahrheit über meine Krankheit
erfuhr, war ich ein ganz normaler kleiner Junge.« Er
seufzt. »Diese Geziertheit ist bloß Pose, Dee,
bloß Pose. Und sollte das jemand vergessen, kann ich auch
äußerst gewalttätig werden.«
    »Weshalb hast du dich ausgerechnet darauf spezialisiert?
Als Leibwächter oder Kämpfer oder…«
    »Sollte

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