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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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solchen war. Eleanor
saß zwischen ihren Großeltern und unterhielt sie.
Annette saß auf einem festgeschraubten Stuhl, während
Reid und ich halb übereinander lehnten, halb
saßen.
    »Annette hat erzählt, du unterrichtest noch
immer«, sagte Reid.
    »Ja.« Ich pustete auf einen heißen
Hamburger. »Teilzeit, kurze Zeitverträge. Die
Weiterbildung wird heutzutage wie ein Tippsen-Pool
geführt.«
    »Du müsstest das eigentlich gutheißen.«
Dave aß hastig und schaute sich hin und wieder um.
    »Würde ich auch, wenn es bloß Sinn machen
würde… Zum Glück hat Annette eine richtige
Anstellung.«
    »Ich bin der Brotverdiener«, meinte Annette mit
vollem Mund.
    »In jeder Beziehung abgesichert, außer vor den
spinnerten Tierrechtlern?«
    »So ungefähr. Und was machst du so?«
    »Ich arbeite für die North British Mutual«,
antwortete Reid. »Eine große
Versicherungsgesellschaft in Edinburgh. Eigentlich bin ich
Softwaretechniker. Ist das Gleiche wie Programmierer, bloß
dass man seine Sache ordentlich macht.« Mit ironischer
Vertraulichkeit beugte er sich vor und zwinkerte meinem Vater zu.
»Gutes Geld für kalten Kaffee.«
    »Noch immer bei den IM, nehme ich an?«
    Reid lächelte verzerrt. »Heutzutage sind alle in
der Labour Party, aber du weißt ja, wie das ist. Hab in
letzter Zeit für die Gewerkschaft gearbeitet. War im
vergangenen Jahr im Branchenausschuss.«
    Mein Vater wirkte auf einmal hellwach. Er war selber
jahrzehntelang im Branchenausschuss gewesen.
    »Mein Gott, muss ganz schön aufregend sein«,
sagte ich.
    In Reids Gesicht spiegelte sich auf einmal abgrundtiefe
Erschöpfung wieder.
    »Schon okay«, sagte ich. »Immer noch besser
als Wahlkampfveranstaltungen der Labour Party.«
    »Ich werd dir sagen, was dein Problem ist«, sagte
mein Vater ruhig. »Du tust es immer noch bloß
für die Partei, nicht für die Gewerkschaft.«
    Reid schüttelte den Kopf. »Ich bin für die
Gewerkschaft!«
    Martin kniff die Augen zusammen und hielt seinen Blick einen
Moment lang fest, dann neckte er wieder Eleanor.
    »Wie sehen eigentlich deine politischen
Aktivitäten aus?«, brach Reid das peinliche Schweigen.
»Unterwanderst du die Tories?«
    »Sehr komisch«, meinte ich. Ich hatte
tatsächlich einmal auf einer Versammlung eines
Außenbezirks gesprochen, doch das wollte ich ihm nicht
sagen. »Ich mache alles mögliche und schreibe Artikel
für das, was ich für eine gute Sache halte. Angefangen
von Amnesty International bis zur Gesellschaft für die
Besiedlung des Weltraums, mit den Anarchisten irgendwo
mittendrin.« Ich zuckte die Achseln. »Ich weiß,
das klingt irgendwie… vage.«
    »Weltraum und Freiheit, wie?«, meinte Reid
leichthin.
    Auf der Straße ging die Demonstration weiter. Ein
Transparent mit dem Bild einer startenden Polaris-Rakete fiel mir
ins Auge, und ich glaube, das war der Moment, wo sich alles
zusammenfügte und ich die Vision hatte. Ich erblickte eine
Zukunft, in der andere Menschen – völlig andere als
diese hier und ihnen gleichzeitig zutiefst ähnlich –
Transparente mit anderen, größeren Raketen vor sich
hertrugen und unbekannte Parolen riefen, die ich nicht genau
verstand.
    »Das ist es!«, sagte ich. »Genau das
brauchen wir, um von den Nuklearterroristen fortzukommen. Eine Weltraumbewegung! Flucht vom Planet der Affen!«
    »Das wär schon was«, meinte Reid. Er beguckte
sich einen Brocken sesambestreuter Semmel, stopfte ihn sich in
den Mund und kaute darauf herum. »Okay, Leute, ich muss
los.« Er lächelte alle Anwesenden an, bemerkte
Eleanors begehrlichen Blick auf seine Plaketten, nahm eine ab und
reichte sie ihr. Jobs statt Bomben. »Meine Telefonnummer
hat sich nicht geändert. Hoffentlich bis bald mal.« Er
und Annette wechselten einen flüchtigen Blick. Als er sich
mir zuwandte, blickten seine Augen so ruhig und freundlich wie eh
und je. »Beim nächsten Mal trinken wir einen, in
Ordnung?«
    »Klar«, sagte ich. »Und dann essen wir was
anderes als diesen Imperialistenfraß.«
    »Sicher«, meinte er grinsend. »Also,
zurück zur jüdischen Volksfront.«
    »Was!?? Meinst du vielleicht die palästinensische
Volksfront?«
    Reid schlug sich an die Stirn. »Natürlich. Bis dann
mal, Kumpel.«
    Er drängte sich durchs Gewühl und verschwand in der
Menge.
     
    Wir verspeisten unser Fastfood herausfordernd gemächlich.
Die Schlange, die wie die Demonstration niemals enden zu wollen
schien, bewegte sich schlurfend voran.

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