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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Mein Vater machte eine
junge Frau mit einem Stapel Flugblätter aus, deren
Überschrift – nein, nicht einmal das, es gehörte
zum Impressum – lautete: ›Gegen Rassismus!
Gegen Imperialismus!‹, und fragte sie im Tonfall
höflicher Neugier: »Weshalb kämpfst du zur
Abwechslung nicht mal gegen den Kapitalismus?«
    Kaum war die junge Frau ein paar Sätze losgeworden,
unterbrach er sie lächelnd mit erhobenem Zeigefinger. Er sah
auf seine Armbanduhr und tippte triumphierend darauf.
    »Eine Minute, fünfundzwanzig Sekunden«, sagte
er zu der verblüfften Funktionärin. »Meinen
Glückwunsch. In kürzerer Zeit hat es noch kein Mitglied
einer… warte mal« – er tat so, als zähle
er an den Fingern ab –, »einer Splittergruppe einer
Splittergruppe einer Splittergruppe der Vierten Internationalen
geschafft, ausgerechnet mich als Sektierer zu
bezeichnen!«
    Während wir uns alle erhoben, um den Verpackungsmüll
auf Tabletts zu packen, trat er zurück.
    »Was soll’n das?«, fragte die junge Frau
empört, während sie von Amy einen Blick voll heimlichen
Mitgefühls auffing. »Was is’n die Vierte
Internationale?«
    »Mach dir nichts draus, meine Liebe«, sagte Amy,
als sie sich an ihr vorbeizwängte. »Er ist ein
schrecklicher Mann.«
    Gleichwohl steckte sie dem Mädchen ein Flugblatt zu.
    Amy glaubte, für jeden gäbe es Hoffnung.
    Vielleicht mit Ausnahme von Martin.
     
    Im Spielpark an der Holloway Road tappte Eleanor über
gemalte Löwenspuren, dann rannte sie auf einmal zu den
Schaukeln. Wir hatten sie hergeführt, damit sie sich nach
der U-Bahn und den Busfahrten die Beine vertreten konnte.
    Annette ließ sich auf eine Bank sinken. »Ich bin
völlig geschlaucht«, sagte sie. »War ein weiter
Weg.« Sie lehnte sich mit gesenkten Lidern zurück,
ohne Eleanor jedoch aus den Augen zu lassen.
    Ich setzte mich neben sie, beugte mich vor und stützte
die Ellbogen auf die Knie.
    »Auch ein langes Gespräch?«
    »Ja, schon. Dave.« Sie seufzte und veränderte
die Haltung, wandte sich halb zu mir um, einen Arm auf die
Rücklehne der Bank gelegt. »Ich hab ihn gesehen, als
er in der Versammlungszone das Blättchen der Sozialistischen
Aktion verkaufte, und da ich die Gruppe aus Islington verloren
hatte, marschierte ich anschließend mit den schottischen
Gewerkschaftlern weiter. Dave und ich haben uns die ganze Zeit
unterhalten.«
    Ich lächelte. »Wie in alten Zeiten.«
    Annette nahm die Unterlippe zwischen die Zähne, sah in
ihre Handtasche und holte eine Zigarette heraus.
    »Ja, also…« Sie zündete die Zigarette
an und inhalierte tief, stieß Rauch aus. »Könnte
man so sagen. Scheiße, das ist kompliziert.«
    »Was ist kompliziert?«
    »Ich hätte dir schon eher davon erzählen
sollen, aber es gab nie einen passenden Anlass oder einen
geeigneten Moment. Die Sache ist die, dass David schon seit einer
ganzen Weile, na ja, galant mit mir flirtet, verstehst
du?«
    »Klar.« Ich lächelte säuerlich; ich
fühlte mich angespannt, und mir war kalt. »Das ist
verständlich. Und ich nehme an, du erwiderst den Flirt
kokett?«
    »Wie nett du das ausdrückst.« Sie beugte sich
mit strahlenden Augen vor und legte mir die Hand aufs Knie.
»Aber Dave ist dickköpfig und aufrichtig und so
verflucht ernsthaft…«
    »Und er macht sich falsche Hoffnungen«, sagte ich
mit schwerer, gepresster Stimme. Eleanor kletterte von der
Schaukel herunter und rannte einen grasbewachsenen Erdhügel
hinauf, der an ein Hügelgrab erinnerte, und dann begann sie,
einen künstlichen Baum aus Holz und Metall zu erklimmen.
    »Ja.« Annette klang erleichtert. »Vielleicht
ist das der Grund…« Sie stockte und sog mit dem
Zigarettenqualm Luft ein, als rauche sie einen Joint.
»Heute«, fuhr sie mit festerer Stimme fort,
»ach Gott, ich bekam richtig rote Ohren. Er hat mir gesagt,
es wäre sein größter Fehler gewesen,
unsere… Beziehung oder wie man das nennen will zu beenden,
und er sei nie über mich hinweggekommen und…«
Sie verstummte und blickte ins Leere. »Er hat mich die
ganze Zeit geliebt und will, dass ich zu ihm
zurückkehre«, schloss sie überstürzt.
    Ich starrte sie an. »Willst du damit
sagen…«
    »Daa-ad!«, rief Eleanor auf der Spitze des
Kletterbaums. Sie wirbelte schwankend mit den Armen, mit den
Füßen auf der obersten Sprosse. Ich sprang auf, ich dehnte die Zeit – mir kam es so vor, als langte ich
im nächsten Moment zu ihr hoch und setzte sie auf den

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