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Die Mars-Stadt

Die Mars-Stadt

Titel: Die Mars-Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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moralistischer,
dogmatischer, selbstgerechter Puristen, die du dein Leben lang
verabscheut hast.«
    »Gut«, sagte der Mann. »Ich habe gesagt,
Leute wie ich, nicht wie Wilde.«
    Er richtete sich auf. »Ich will sie kennen
lernen.«
    »Das wäre ein Fehler.«
    Wilde setzte sich unvermittelt in Bewegung. »Weil ich
solche Fehler nie gemacht habe«, sagte er, während
Jay-Dub sich erhob und ihm folgte, »bin ich jetzt tot.
Nicht vielen Menschen bietet sich die Gelegenheit, aus ihren
Fehlern zu lernen.«
     
    Reids Büro ist groß. Die geschwungenen Wände
bestehen aus schlichtem grauem Beton, was trotzdem eine
erstaunlich warme Atmosphäre erzeugt. Der Ausblick
trägt einen Gutteil zur hohen Miete bei. Die Morgensonne
fällt in den Raum. Auf dem Schreibtisch aus massivem Holz,
der beinahe den Eindruck macht, er sei aus Plastik, ein
Standardkeyboard und ein Bildschirm. Reid hat Kontakte
aufgesetzt, die er nur selten benutzt.
    Er sitzt auf dem Schreibtisch, beugt sich darüber,
blättert durch die Ergebnisse einer Suchanfrage. Die Suche
geht schnell vonstatten, und die Szenen rasen in umgekehrter
Reihenfolge vorbei. Telefongelaber und Gestikulieren.
    Er hält den Bildlauf an, blättert vor, friert die
Szene ein.
    Er schaut hoch. »Kommt mal her«, sagt er.
    Collins und Stigler treten näher und blicken auf den
Monitor. Darauf sieht man das Innere der Fahrerkabine eines
großen, starken Transportfahrzeugs. Die Einzelheiten sind
kurios: ein herabbaumelndes Mikrofon, ein abblätternder
Slogan, Polyethylenpolster. Ein Mann mit einem faltigen,
wettergegerbten Gesicht blickt in die Kamera. Neben ihm sitzt
eine junge Frau mit sehr dunklen Augen, sehr schwarzem Haar,
engem T-Shirt und abgeschnittenen Jeansshorts. Sie wirkt wie eine
intelligente, wachsame Nutte.
    Reid drückt eine Taste, worauf sich das Bild bewegt. Ein
Interferenzflackern hat zur Folge, dass alle drei Männer
blinzeln und leicht den Kopf schütteln. Als sie die Augen
wieder öffnen, wird das Bild scharf.
    »Verzeihung«, sagt der Mann. »Hab mich
verwählt.«
    Er langt aus dem Bild hinaus, dann wird der Monitor leer. Ein
weiterer aufgezeichneter Anruf folgt. Reid hält die
Aufzeichnung an und fährt zurück. Bei der
Bildstörung hält er an, lässt die Aufzeichnung
langsam noch einmal ablaufen.
    »Oh, Scheiße«, sagt er.
    Er klickt ein weiteres Monitoricon an und öffnet
irgendeine Analysesoftware. Das Flackern verwandelt sich auf
einmal in eine Seite voller Symbole. Reid klickt erneut. Die
Symbole werden zu Fenstern voller Text. Reid fährt mit dem
Finger über den Monitor, seine Miene verfinstert sich immer
mehr.
    »Dieser Hurensohn«, sagt er und richtet
sich auf.
    Stiglers Mund zuckt. »Dieser Typ«, sagt er
aufgeregt. »Der mit der komischen Haut,
der…«
    Reid sieht ihn an. »Kein Scheiß,
Sherlock.«
    Er ruft abermals das Bild auf und startet ein anderes
Programm, das die Gesichtszüge des Mannes glättet und
weicher macht.
    »He!«, sagt Collins.
    Reid deutet auf den Monitor. »Schnappt ihn euch!«,
sagt er.
    »Warten Sie mal einen Moment«, sagt Stigler.
»Sie haben gemeint, wir bräuchten einen Haftbefehl,
aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein
Gericht…«
    Reid klopft ihm auf den Rücken. »Machen Sie sich
deswegen keine Sorgen«, sagt er grinsend. »Der Mann
ist tot.«
    Er wendet sich vom Schreibtisch ab und stützt sich wieder
aufs Fensterbrett, blickt auf die Stadt hinaus und lächelt
in den Sonnenschein hinein.

 
6    Der
Sommersoldat
     
     
    Ich sah vom Observer auf, der auf dem
Frühstückstisch lag. Draußen, hinter dem
Terrassenfenster, summte unser kleiner, von Mauern gesäumter
Hinterhof von Bienen und wimmelte von Unkraut. Die Zehn-Uhr-Sonne
fiel steil herein. Annette hatte mir gegenüber die
Füße auf die Sitzbank gestellt und genoss die erste
Zigarette und den zweiten Kaffee des Tages. Eleanor, der
Hauptgrund, weshalb wir sonntags zu dieser frühen Stunde
bereits auf waren (und die Folge eines Sonntagmorgens vor sieben
Jahren, als wir alles andere als Aufstehen im Kopf hatten),
saß über Filzstifte und ein Malheft gebeugt.
    »Was machen wir heute?«, fragte ich.
    »Für den Frieden kämpfen«, antwortete
Annette entschieden.
    »Nicht mit mir«, sagte ich, während Eleanor
»O nein, Mummy!« stöhnte. Die
Anti-Atomwaffendemo hatte ich ganz vergessen, obwohl wir sie
schon vor Wochen erst mit Bleistift und dann mit Kugelschreiber
in den Küchenkalender

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