Die Mars-Stadt
Boden.
»Bleib bei den Schaukeln!«, sagte ich.
»Bitte!«
Ich setzte mich wieder neben Annette und schüttelte den
Kopf. Aus mehreren Gründen hatte ich Herzklopfen.
»Das hat er dir einfach so ins Gesicht
gesagt?«
»Ja«, bestätigte Annette.
»Herrgott noch mal!«, explodierte ich. »Was,
zum Teufel, will er damit eigentlich erreichen?« Beim
Gedanken an unser beiläufiges, freundliches Geplänkel
wurde mir übel.
»Ich hab dir gesagt, was, zum Teufel, er damit erreichen
will«, meinte Annette.
»Und was hast du erwidert?«
Annette steckte sich mit zitternden Händen eine neue
Zigarette an; die Flamme war im Sonnenschein unsichtbar.
»Ich habe gesagt, er sei verrückt, er treibe es zu
weit und ich sei vollkommen glücklich und liebte dich und
Eleanor und würde dich auf keinen Fall um seinetwillen
verlassen. Vor allem habe ich ihn aufgefordert, das Ganze zu
vergessen.« Sie lächelte schwach. »Was hast du
erwartet?«
»Also, genau das.« Ich blinzelte sie gegen die
Sonne erleichtert an. Ich war wütend, nicht auf sie, sondern
auf ihn. Etwas davon sickerte aber offenbar in meine Stimme ein,
als ich sagte: »Aber hast du ihm auch gesagt, dass du ihn
nicht liebst?«
»Nein«, sagte Annette. »Das konnte ich
nicht. Nicht, dass ich ihn noch lieben würde!« Sie
lachte. »Das tue ich nicht, nicht… so, aber ich habe
ihn noch immer gern. Du ja auch, oder? Und ich weiß nicht,
ob du das auch gemerkt hast, aber ich habe den Eindruck, dass er
zutiefst unglücklich ist, verwirrt und frustriert,
und das wäre wie ein Schlag ins Gesicht für ihn
gewesen.«
Ein Schlag ins Gesicht, dachte ich – das ließe
sich machen. Doch ich atmete aus, entspannte mich, rang mir ein
Lächeln ab und sagte: »Also, okay, ich bin froh
über das, was du gesagt hast. Zu ihm und zu mir.« Mein
Lächeln vertiefte sich, ich schlang die Arme um sie, und
dabei fiel mir auf, dass ich eine Zigarette in der Hand hielt und
nach fünf Jahren der Enthaltsamkeit wieder rauchte.
»Lass uns miteinander schlafen«, sagte ich.
»Ja.«
Es war wunderschön, doch anschließend lag ich da,
blickte an die Decke und dachte nach über das, was sie
gesagt und was sie nicht gesagt hatte, und das bereitete mir weit
größere Sorgen.
Im Rückblick wurde mir klar, dass Annette hinsichtlich
der Zeitdauer, da Reid ›galant‹ mit ihr flirtete,
stark untertrieben hatte. Begonnen hatte es gleich bei unserer
ersten Begegnung, nachdem unsere Beziehung angefangen hatte. Ich
hielt es für einen Scherz, für ein Kompliment an
Annettes Adresse, insofern ich mir überhaupt Gedanken
darüber machte. Kurz darauf hatte Reid – zu jedermanns
Überraschung – eine kurze und leidenschaftliche
Affäre mit Myra. Das fasste ich als Geste an meine Adresse auf, als ein Aufblitzen von
Primatenzähnen. Seltsamerweise machte ihm das voraussehbare
Scheitern dieser Beziehung anscheinend mehr zu schaffen als das
Ende seiner Affäre mit Annette. Vielleicht hatte er sich
genau wie ich ungewollt in Myra verliebt, und sie hatte seine
Gefühle nicht erwidert.
Sexuelle Konkurrenz war von Anfang an Teil unserer
Freundschaft gewesen, und anscheinend sollte es so bleiben, ob
wir uns nun fern oder nahe standen.
Ich wälzte mich aus dem Bett und tappte zur Küche.
Ich setzte mich in den Lichtkegel der Lampe und rauchte noch eine
Zigarette. Mein Spiegelbild im schwarzen Fenster erwiderte
ironisch meinen Blick. Die auf die Packung aufgedruckte
Gesundheitswarnung (stets ein Anlass für ironische
Überlegungen) sagte mir Dinge, die ich nicht wissen wollte
und warnte nicht vor der eigentlichen tödlichen Gefahr: der
allmählichen, schleichenden und unumkehrbaren
Verhärtung des Herzens.
Ich arbeitete drei Tage die Woche im College, und der Montag
gehörte nicht dazu. Annette ging zur Arbeit, ich räumte
den Frühstückstisch ab und begleitete Eleanor zur
Schule. Ich kaufte Zeitungen, hätte beinahe zehn Silk Cut
gekauft, ging wieder nach Hause und erledigte die Hausarbeit so
flott wie ein Student auf Speed. Dann setzte ich mich mit einem
Kaffee, einem Filofax und einem heftigen Nikotinentzug an den
Tisch.
Normalerweise widmete ich Tage wie diesen der politischen
Arbeit, wie ich es nannte. (Ich hatte Annette beinahe davon
überzeugt, dass es sich um ein kompliziertes Spiel handelte,
in dem ich mich allmählich hocharbeitete, vom Verfassen
langer Artikel für obskure Organisationen und kurzer Artikel
für bekannte
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