Die Mars-Verschwörung
ich Riki-Tiki und Stain in der Nähe der Ortschaft Dismel. Sie stehen am Ufer des Gargarin und beobachten etwas im Wasser.
»Gehen wir!«, sage ich, als ich mit polterndem Motor neben ihnen halte. »Wir haben zu tun.«
»Pssst«, macht Riki-Tiki. »Mach das Ding aus. Du bist respektlos.«
»Mimi?«
»Tu es, Cowboy«, sagt sie, also stelle ich den Motor ab. »Schau hinaus auf den Hawerasee. Was siehst du?«
Ich klappe mein Visier hoch und blicke aufs Wasser.
»Wow.«
Am Seeufer sammeln sich Tausende von schlichten, braunen Papierlaternen, die auf dem Wasser treiben, erleuchtet von Wachskerzen. Sie treiben aufeinander zu und wieder voneinander weg, während die Strömung sie langsam flussabwärts und außer Sicht trägt.
»Kerzen?«, frage ich.
»Man nennt sie Tōrō Nagashi «, erklärt mir Riki-Tiki. »Sie symbolisieren die Rückkehr der Toten. Heute ist die Nacht der Freude, das Ende des Geisterfestivals.«
»Eine Kerze für jede verlorene Seele«, sagte ich. Eine Kerze für jede Vienne auf der Welt.
»Dem haftet eine gewisse Ironie an, nicht wahr?«, sagt Stain.»Immerhin ist Dismel inzwischen eine Geisterstadt. Man kann nicht sagen, dass die Sturmnacht keine poetische Ader hätte.«
»Aasiger Mist«, gebe ich zurück und klappe mein Visier wieder herunter, denn ich habe mehr als genug Kerzen gesehen. »Fahren wir.«
Bei Nacht sieht Dismel wie das sauber abgenagte Skelett eines überfahrenen Tieres aus. Nach unserem Wiedersehen rollten Riki-Tiki, Stain und ich an den verkohlten Überresten einiger Wellblechhütten am Straßenrand vorbei. Sie erinnern mich an die Minen von Fisher Four. Die Tunnel dort lagen in ständiger Dunkelheit, und mein Tagesrhythmus ist völlig durcheinandergeraten. Keiner von uns Regulatoren hatte sagen können, ob Tag war oder Nacht, also sind wir in einem von Schlafmangel geprägten Dunst umhergestolpert, um Minenbewohner, die uns nicht haben wollten, vor den Dræu zu schützen – Buhmänner, die im Dunkeln sehen konnten und nichts so sehr wollten, wie sich an unserem Fleisch zu laben. Es ist ein Wunder, dass wir niemanden versehentlich erschossen haben.
»Darf ich dich daran erinnern, dass deine Telemetriefunktionen es dir gestattet haben, deine Umgebung zu jeder Zeit korrekt wahrzunehmen?«, fragt Mimi.
»Erinnere mich nicht daran«, entgegne ich. Was würde ich dafür geben, hätte ich meine alte Panzerung – und meinen alten Körper – wieder. Ich habe mich längst so an die technischen Vorzüge gewöhnt, dass ich inzwischen nie ganz sicher bin, wo ich mich gerade aufhalte. Bei diesem Gedanken vermisse ich Vienne noch mehr.
Wumm!
In der Ferne erblüht eine Rauchwolke, der weitere Explosionen folgen. Ich sehe Flammen in dem Rauch emporzüngeln.
»Ein Dichter könnte diesen Ort als Metapher auf das fehlgeschlagene Mars-Utopia verwenden«, sage ich zu Mimi.
»Nur, wenn er sein Publikum in Schockstarre versetzenwill. Halten wir uns doch lieber an die Romantiker, was meinst du?«
Während wir uns mit unseren Fahrzeugen langsam einen Weg durch den Schutt bahnen, der im Licht unserer Scheinwerfer auftaucht, steigen hier und da noch Rauchfahnen auf. Der Gestank ist überwältigend. Ich sehe eine junge Frau, die auf ein brennendes Haus zuläuft, das von Panik verzerrte Gesicht voller Ruß und Schweiß. »Mein Baby!«, schreit sie. »Mein Baby ist noch da drin!«
Es bleibt keine Zeit, die Fragen zu stellen, die auf der Hand liegen: Wie ist das Baby dorthin gekommen? Warum hat sie es allein zurückgelassen? Ist das eine Falle?
Riki-Tiki packt die Frau, ehe sie durch die Hintertür, die von Flammen umlodert wird, ins Haus rennen kann.
»Wo ist das Baby?«, rufe ich laut genug, dass die junge Frau mich über das Tosen des Feuers hinweg verstehen kann.
»Sie ist im Bad!«, ruft Riki-Tiki, denn die Frau bringt inzwischen keinen Laut mehr heraus.
»Mimi«, sage ich, klappe das Visier herunter und schalte die LED -Lampe ein, »halt mir den Rücken frei.«
»Alles klar, Cowboy!«
Im Korridor klebt Ruß an Decke und Wänden, so dick wie ein schwerer Vorhang. Darunter ist der Rauch dünner, eine brodelnde Wolke, unter der ich mich hinwegducken kann, während ich über den Schutt steige und mit den dicken Sohlen meiner Stiefel aufstampfe, um mich zu vergewissern, dass der Boden fest ist.
An der ersten Tür wende ich mich nach rechts und betrete einen kleinen Raum. Die Fenster sind vom Rauch so dunkel, dass kein Licht hereinfallen kann. Es stinkt nach Holzkohle, und
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