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Die Marsfrau

Die Marsfrau

Titel: Die Marsfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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Sage
berichtet – die Tochter Angara verlässt, als er die klaren Kiesel
noch aus der Tiefe leuchten sah, das Wasser schmeckte, den
Windhauch spürte, der nach kaum vergangenem und schon
wieder nahem Eis roch, da begriff er die Texte der Lieder,
verstand die Liebe der Menschen zu diesem Kleinod des
Planeten Erde.
    Sie liefen sich müde in der hügeligen, zerklüfteten Uferzone
und der scheinbar unberührten Taiga; sie sammelten vorjährige
Zedernnüsse und mussten sich – weil sie vergessen hatten,
entsprechendes Spray mitzunehmen – sattsam von Mücken
zerstechen lassen, die mit dem See und dem Wald die
Jahrhunderte überdauert hatten.
Hungrig und müde kehrten sie ein in dem Tourtel der
Blockhaussiedlung Angorsk. –
    Sylvester konnte nicht verhindern, dass sein Puls in einer
erhöhten Frequenz schlug, als sie sich dem niedrigen Gebäude
näherten, der Arbeitsstätte von Conny Higgs, die sie ihnen als
Ort des Treffens vorgeschlagen hatte.
    Nichts deutete darauf hin, dass sich nur knapp zwei
Kilometer entfernt der mächtige Kraftwerksriese befand, dass
dort im Augenblick Tausende Kubikmeter Angarawasser in die
Tunnel stürzten, sich Stahlwellen von zweieinhalb Meter
Durchmesser drehten, Stromerzeuger, Lebensspender,
Voraussetzung dafür, dieses gewaltige Land zu erschließen.
Auch wenn heute niemand mehr solche Monstren von
Kraftwerken baute, sie blieben gewaltig. Und Sylvester war
von tiefer Ehrfurcht ergriffen worden, als ihm der Beton, auf
dem er stand, das Vibrieren der Maschinen bis in den letzten
Winkel seines Körpers mitteilte. Ein Blick in Alinas Gesicht
hatte ihn überzeugt, dass sie ähnlich empfand.
    Niemand, der nicht eingeweiht war, konnte einem MHDVerbund-Reaktor – und wenn er gleich die zehnfache Leistung
hatte – die gleiche Ehrfurcht entgegenbringen, einem flachen
Beton-Stahl-Komplex in einsamer Gegend, abgeschirmt,
unzugänglich, das meiste unter der Erde…
    Wenn man sich dagegen vorstellte, welche menschliche Kraft
allein das Abriegeln eines Flusses wie der Angara erforderte! –
An diesem Objekt also, wie auch an anderen, ähnlichen, wirkte
die Higgs. Nur denken konnte sich Sylvester nicht, was es hier
noch zu forschen geben mochte. Eine Anlage, immerhin 200
Jahre alt… –
    Conny Higgs musste noch vor einem Jahrzehnt eine schöne
Frau gewesen sein. Jetzt wirkte sie ältlich
– durch den
überschlanken Körper, die zu einem strengen Knoten
geschürzten dunklen Haare, vor allem aber durch den
ungesunden Teint, der so aussah, als sei sie eine von den
seltenen süchtigen Raucherinnen. Raucherin, stellte er wenig
später mit gesträubter Oberlippe fest, als er im Kosmetikduft
einen Tabakteerhauch ausmachte.
    Conny Higgs vermittelte den Eindruck, den Anschluss
verpasst zu haben und dieses hinter einem Wall von
Komplexen und irrealen Prinzipien zu verschanzen.
    Sylvester stellte sich die schöne Wohnanlage in Nowosibirsk
vor und darin diese nostalgische Frau inmitten von üblem
Rauch!
    Was in Sylvester diesen Eindruck noch verstärkte war, dass
sich diese Frau nicht etwa durch eine entsprechende
Lebensweise, sondern durch Äußerlichkeiten, stark geschminkt
und schmucküberladen, gegen das Altern zur Wehr setzte.
Aber, und das überraschte Sylvester, ihr Verhalten entsprach in
keiner Weise seiner aus ihrer Erscheinung geschöpften
Erwartung. Er war darauf eingestellt, dass sie kratzig,
vielleicht sogar unwirsch und abweisend auftreten, dass sein
Besuch bei ihr sich als bedauerlicher Irrtum herausstellen
würde. Bereits ihre erste Reaktion belehrte ihn eines Besseren.

Sie stand auf, kam ihnen vom Arbeitstisch aus lächelnd
entgegen, richtete sanfte Augen auf sie und fragte: „Sylvester
Reim?“ Ihr schmales Gesicht hatte mit einem Mal an Strenge
verloren, ein eindringlicher Charme ging von ihm aus,
verstärkt durch die dunkle, raue Stimme. Den Eindruck
verwischten auch ihre durch das Rauchen offenbar schlecht
gewordenen, reparierten und verfärbten Zähne nicht. „Du hast
am Videor angedeutet, dass es dir um meine Tätigkeit in
Werchojansk geht
– das ist lange her.“ Sie seufzte, und
Sylvester war nicht klar, ob es ironisch gemeint oder echt
wehmütig war. „Na gut“, fuhr sie forsch fort, „allerdings weiß
ich nicht, wie ich noch helfen könnte.“
    Sylvester nickte, beantwortete damit ihre erste Frage. Doch
bevor er sich noch irgendwie anders äußern konnte, sprach sie
weiter: „Ich schlage vor, wir gehen nach draußen, hm? Bei
dem Wetter! Und im Laufen plaudert

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