Die Maske des Alien
von ihr gesehen hatte.
„Warum?“ fragte sie. „Kish ist jetzt fort. Du brauchst ihn nicht zu fürchten.“
„Ich fürchte ihn nicht.“ Fain fand ihr Gewand zusammengeknüllt am Fußende. Er warf es über ihre Brust. „Geh.“
Und da begann sie zu lachen. Es war das letzte, was er erwartet hatte, und einige Augenblicke verstrichen, bevor er verstand, daß sie nicht mehr ganz Herr ihrer selbst war. „Er … er … er hat uns gehört“, keuchte sie, mühsam die Worte zwischen unkontrollierten Lachanfallen hervorstoßend. „Er hat uns gehört, er hat gewußt, was wir getan haben, und nichts unternommen. Es ist zum Lachen, Fain. Verstehst du das nicht? Er hatte Angst. Angst vor dir. Vor uns. Kish hatte Angst … Angst … Angst …“
Fain schlug sie. Nicht brutal. Das war nicht notwendig. Er schlug sie nicht, weil sie hysterisch oder laut war, sondern weil er sie einen Augenblick lang haßte. Er haßte sie, weil sie lachte, und weil er wußte, daß er der Grund dafür war. Er erinnerte sich an das, was Skallon ihm über Kish und Joane und über die wahre Natur ihrer Ehe erzählt hatte, und er fragte sich, wieviel davon wohl stimmen mochte, falls überhaupt etwas dran war. Er fragte sich außerdem, warum Joane geglaubt haben mochte, Skallon davon erzählen zu müssen und ihm nicht.
Joane betastete ihre Wange und starrte Fain an. Kein Ausdruck lag in ihrem Blick – weder Schmerz noch Schreck noch Reue. „Ich … ich habe dir geschadet, Fain.“
„Nein, das eigentlich nicht.“ Sein Haß verebbte so schnell, wie er aufgestiegen war. „Aber ich meine, du solltest jetzt gehen. Kish ist unser Kontaktmann hier. Skallon und ich sind auf ihn angewiesen. Ich finde, wir sollten sein Vertrauen nicht mehr als nötig hintergehen.“
Sie zog sich an. „Aber es war so komisch, Fain. Ich habe jedes Wort gehört. Er hatte solche Angst.“
„Jeder von uns hat manchmal Angst, Joane.“ Er setzte sich mit dem Rücken zu ihr auf das Bett.
Sie legte ihre Arme auf seine Schultern. „Dann kann ich also nie wieder zu dir kommen.“
„Das habe ich nicht gesagt.“ Er drehte sich um und sah sie an. „Vielleicht ein anderes Mal. Vielleicht morgen. Aber nicht heute nacht. Heute nacht will ich nachdenken.“
„Ich verstehe.“ Sie erhob sich und ging zur Tür. „Das tut ihr Erdler immer. Immer nachdenken.“ Sie sagte es nicht vorwurfsvoll. Für sie war es wahr. Eine der Eigenschaften der auf der Erde geborenen Menschen: Ständiges Nachdenken.
Fain wartete, bis sie hinausgegangen war. Wohin, dachte er. Er nahm an, daß sie sich auf den Weg zu Skallon machte, aber er weigerte sich ganz bewußt, dem verhallenden Klang ihrer Schritte zu lauschen, um herauszufinden, in welche Richtung sie ging. Nein, er dachte an etwas anderes. Er dachte daran, wie sonderbar das alles war.
Er konnte sich nicht daran erinnern, Kish auch nur einmal so spät in der Nacht hier in den oberen Korridoren getroffen zu haben, seit er in dieser Herberge war. Was hatte ihn speziell in dieser Nacht hierhergeführt? Und – auch etwas, worüber er nachdenken mußte – Kishs seltsames Lächeln am Schluß. Was Tür eine Bedeutung hatte es gehabt?
Überrascht und erschrocken erkannte Fain, wohin seine Gedanken ihn führten: Woher wollte er wissen, ob Kish überhaupt Kish gewesen war? Woher wollte er wissen, ob Kish nicht der Änderung war? Es gab wenige greifbare Gründe für diesen Verdacht, aber noch weniger, um ihn zurückzuweisen.
Fain erstarrte. Wenn man Änderlinge jagte, beschlichen einen solche Augenblicke immer wieder: die plötzliche Angst, jedermann ringsumher könnte ein Änderung sein. Die Grundform der Paranoia. Scorpio hatte Joane an diesem Abend durchgehen lassen, und vorher hatte er auch Skallon geprüft. Aber er konnte nicht jeden im Hotel überprüfen. Nein, dachte Fain, das Hotel war sein Stützpunkt, und er mußte davon ausgehen, daß es relativ sicher war, denn sonst würde er keine ruhige Minute mehr finden.
Fain entspannte sich, ließ die Hände baumeln und lockerte seine Muskeln. Er setze sich auf das Bett und meditierte; er atmete beruhigend durch die Nase ein und wieder aus, in einem langsamen, trägen Rhythmus. Er ließ sich los und versank in sich selbst. Er fand den ruhigen Mittelpunkt dort, wo er immer war. Gelassen, kühl und schimmernd wie eine milchige Perle. Er würde leben, ganz gleich, was auch geschehen mochte. Es war nicht nötig, um sein Leben zu bangen, denn das Leben in einzelnen Formen war eine Illusion.
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