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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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schob eine vorwitzige aschblonde Locke unter das Spitzenhäubchen und legte den Spiegel in die Tasche zurück. Drei Herzen schlugen in ihrer Brust: das sanfte von Arian, das mörderische von Mademoiselle Corday und ihr eigenes, das sich für eine der beiden Seiten entscheiden musste. Im Moment hatte Charlotte es für sich eingenommen. Ihr Zorn fühlte sich richtig an.
    Nach einem prüfenden Blick zum Kutscher, der stur geradeaus sah, holte Mira das Küchenmesser heraus und ließ es in ihrem Ausschnitt verschwinden. Dazu steckte sie die Streitschrift, die Charlotte zur Erklärung ihrer geplanten Tat in ihrem Hotelzimmer unter dem Titel »An Frankreichs Freunde von Recht und Frieden« verfasst hatte. Als Letztes verwahrte sie die Geburtsurkunde des Fräuleins an ihrem Herzen. Genau so hatte es Mademoiselle Corday gewollt.
    Kurz nach dem Sieben-Uhr-Läuten traf der Wagen vor dem Haus Nummer 20 in der Rue des Cordeliers ein. Augenscheinlich wohnten mehrere Parteien darin. Man sagte, Marat lebe in bescheidenen Verhältnissen. Er bereichere sich nicht an der Revolution, sondern töte die Menschen mit seiner spitzen Feder aus tiefer Überzeugung.
    Höflich verabschiedete sich Mira von dem Kutscher, wünschte ihm einen guten Abend und ging erhobenen Hauptes zum Eingang des Gebäudes. Nur keine Unsicherheit anmerken lassen!
    Hinter der Haustür kam sie einer Portiersfrau in die Quere, die wie ein Wal mit Blähbauch aussah. Ihr schwarzes, langes Kleid bauschte sich über mehreren Unterröcken, was weder modern noch der sommerlichen Hitze angemessen war. »Wen wünschen Sie zu besuchen, Mademoiselle?«, krähte sie.
    Mira antwortete nicht und lief mit festen Schritten weiter.
    »Mademoiselle!«, empörte sich die Portiersdame. »Ich kenne Sie nicht. Sie dürfen hier nicht einfach …« Sie schnappte entrüstet nach Luft, als das Provinzfräulein achtlos an ihr vorüberstolzierte.
    Im Flur öffnete sich eine Tür. Das Gezeter der Portiersfrau musste wohl die Neugier der Bewohner geweckt haben. Es war die Tür, hinter der Jean Paul Marat lebte.
    Noch.

Wie Mira den Herold des Schreckens im Bade trifft
und mit sich hadert:
Soll sie ihn ermorden oder nicht?
      
      
      
    Paris, 13. Juli 1793
      
    »Madame Évrard?«, fragte Mira. Ihr Einblick in Charlottes Erinnerungen war zu bruchstückhaft, um die Frau in der halb geöffneten Tür eindeutig zuzuordnen.
    »Ich bin Catherine Évrard – die Schwester von Madame – und kümmere mich um den Haushalt«, erwiderte die Gefragte kühl. Sie trug ein hell- und dunkelrot gestreiftes Kleid, war etwas jünger als der fünfzigjährige Marat und musterte Mira argwöhnisch.
    »Das heißt, Sie sind das Dienstmädchen?«
    »Was wünschen Sie?« Es klang weniger wie eine Frage, sondern eher nach einer Abfuhr.
    »Mein Name ist Charlotte Corday d’Armont. Sind Sie die Quasi-Schwägerin von Monsieur Marat?« Ein Seitenblick verriet Mira, dass die Portiersfrau immer noch auf Posten war und die Ohren spitzte.
    »Woher…?«, schnappte Madame Évrard. Sie schüttelte irritiert den Kopf. »Dieses Wort benutzt sonst nur mein Mann.«
    »Monsieur Anthony John Horn, meinen Sie?«
    »Sie kennen ihn?«
    »Ja«, antwortete Mira selbstbewusst. Sie versuchte die Tür aufzudrücken, doch das Dienstmädchen hielt sie fest. »Wäre es Monsieur Marat möglich, mir ein paar Minuten seiner kostbaren Zeit zu opfern? Ich hatte mich schriftlich angekündigt.«
    »Es ist bereits jemand da.«
    »Ich kann warten.«
    »Das tut schon der andere Herr. Monsieur Marat nimmt gerade ein Mineralbad. Seine Krankheit schränkt ihn derzeit stark ein.«
    »Immerhin war er heute Nachmittag noch gesund genug, den Hinrichtungen auf dem Revolutionsplatz beizuwohnen. Ich habe ihn mit einem Monsieur M. …«
    »Keine Namen!«, schnitt Madame Évrard ihr das Wort ab. Ihr Blick huschte zu der Portiersfrau.
    »Dann lassen Sie mich bitte herein. Es geht um Leben und Tod. Das habe ich alles schon Ihrem Mann erklärt, und er war bereit, mir zu helfen.«
    »Antoine hat Ihnen …?«
    Mira nutzte den Moment der Verunsicherung, um die Tür aufzudrücken und sich in die Wohnung zu schieben.
    »Wie können Sie es wagen, hier einfach so einzudringen?«, zischte Madame Évrard. Die Tür schloss sie trotzdem, wohl wegen der neugierigen Portiersfrau.
    Mira sah sich rasch in der kleinen Diele um, die bis auf eine Kommode aus Wurzelholz, zwei Stühlen und einem Scherengitter mit Kleiderhaken nichts zu bieten hatte. Durch eine offene Tür kam ein

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