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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Überraschung überwinden konnte, musste sie sich von ihrem eigenen Körper den Sonnenschirm entreißen lassen und bekam dessen Griff gegen den Kopf.
    »Stirb mir nicht. Vielleicht brauche ich dich noch«, sagte Madame Rimemort.
    Miras Schädel dröhnte vor Schmerzen und ihr wurde eiskalt. Sie brach benommen zusammen. Was darauf geschah, erreichte ihr davontreibendes Bewusstsein nur mehr verschwommen.
    »Mademoiselle, was soll das?«, entfuhr es Sir D’Arcy. Seine Stimme klang merkwürdig hohl.
    »Sie ist eine Verräterin. Sehen Sie sich mal den Knauf ihres Schirmes etwas genauer an.« Die falsche Mira stieg über ihren abgelegten Leib hinweg, lief zum Canapé und schlug ihn ebenfalls nieder.
    Der Ire sank keuchend auf das Polster.
    »Noch einmal kommst du mir nicht in die Quere«, zischte die Seelendiebin.
    Danach versank Miras Geist in Dunkelheit.

Am Tag vor der Hochzeit sucht Arian Zerstreuung
und tritt mit seiner Puppe im Amphitheater auf.
Nicht jeder gönnt ihm den Applaus.
      
      
      
    London, 16. August 1794
       
    Vom Vorhang verdeckt, die Puppe Eibo wie ein Kind auf dem Arm haltend, spähte Arian durch den Feuerkristall ins Amphitheater. So hatte er es im ganzen letzten Jahr vor seinen Auftritten getan, immer fürchtend, dort im Publikum den steinalten, verschrumpelten, abgrundtief hässlichen Mann zu entdecken. Morpheus. Ihm traute Arian alles zu, sogar dass er dem Tod ein Schnippchen schlug, um seinem Urenkel das Glück zu stehlen, nach dem dieser sich sein Leben lang gesehnt hatte. Endlich war es greifbar nahe.
    Morgen sollte Hochzeit sein. In den vergangenen Monaten war seine Liebe zu Mira gereift wie ein edler Wein. Sie hatten so oft und so viel miteinander gesprochen! Inzwischen glaubte jeder, den anderen besser zu kennen als sich selbst. Nun waren es nur noch wenige Stunden bis zu ihrem großen Tag, Stunden, die sich endlos dahinzogen, als seien sie aus Gummi gemacht. Sogar Mira war zu beschäftigt gewesen, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Wahrscheinlich trieb sie das Personal von Hercules Hall mit ihren »letzten Änderungen« gerade an den Rand der Verzweiflung. Ginge es nach Arian, könnte der nächste Tag gleich mit der Hochzeitsnacht beginnen. Am Montag wäre er dann der glücklichste Ehemann der Welt.
    Wenigstens verschaffte ihm sein allerletzter Auftritt als Junggeselle Ablenkung. Der Sergeant Major war erst am Morgen von seiner Einheit bei den 15. Leichten Dragonern nach London zurückgekehrt und hatte ihn bekniet, bei den zwei Samstagsvorstellungen noch mitzuwirken. Gerade jetzt, wo die Besucherzahlen zurückgingen, könne er nicht auf eine Nummer verzichten, die das Publikum verzaubere wie keine andere. Die Leute liebten den Puppenspieler Mike Astley.
    Natürlich hatte er zugestimmt, nicht der Schmeichelei wegen, sondern aus Sorge um seinen Ziehvater. Arian beschlich seit seiner Rückkehr nach London zunehmend das Gefühl, jemand arbeite hinter den Kulissen daran, Philips Lebenswerk zunichtezumachen. Dieser Ränkeschmied war schlimmer als die beiden Charlys vom Royal Circus, die zwar gute Nummern in ihrer Show zeigten, aber keine Ahnung von Finanzen hatten. Seine Quertreibereien waren deshalb so raffiniert, weil sie wie Schicksalsschläge aussahen. Mal versagte ein Geldverleiher dem Sergeant Major aus fadenscheinigen Gründen seine Unterstützung. Dann wieder verließ ihn ein Publikumsliebling wie Peter Ducrow, der »Flämische Herkules«, um auf Europatournee zu gehen. Es waren viele kleine Nadelstiche, die das Familienunternehmen allmählich ausbluten ließen. Arian fürchtete, in den Ereignissen die Handschrift eines alten Bekannten zu sehen.
    So wie er es zuvor schon von der Gegentribüne aus getan hatte, musterte er auch durch den Spalt im Vorhang jeden einzelnen Zuschauer in seinem Blickfeld. Da saßen Gnome oder andere Fabelgestalten und Menschen mit allen möglichen Tierköpfen, doch kein Morpheus …
    Ärgerlich schüttelte er den Kopf. Er musste endlich damit aufhören! Wenn sein Urgroßvater den Sturz von der Klippe überlebt hätte, wäre er längst gekommen, um Rache zu üben. Außerdem wachte bis zum Beginn der Vorstellungen die Papageiendame Lizzie am Eingang und hätte sofort Alarm geschlagen, falls irgendein fremder Swapper aufgekreuzt wäre. »Entspann dich. Es ist alles in Ordnung«, flüsterte er.
    »Ich bin so entspannt, wie ein Holzkerl nur sein kann«, antwortete Eibo.
    Arian grinste. Mit solchen Spielereien hatte er schon früher das Lampenfieber

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