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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Königin Marie-Antoinette. Geistliche, Generäle, Künstler, viele ehemalige Abgeordnete des Nationalkonvents und selbst den großen Einpeitscher Georges Danton hatte man enthauptet. Es war genau eingetroffen, was Tarin vorhergesagt hatte: Die Revolution fraß ihre eigenen Kinder. Zuletzt wurden der oberste Tugendwächter Maximilien de Robespierre und sein Todesengel Antoine de Saint-Just guillotiniert. Danach endete schlagartig die Grande Terreur.
    Und es schien, als habe damit auch Tarin die Liste von Morpheus’ Schergen abgearbeitet, die Mira ihm vor ihrer Abreise aus Paris gegeben hatte. Im Einzelfall ließ sich seine Einflussnahme von London aus natürlich nicht beweisen. Ein Jahr lang hatten Arian und Mira keine Nachricht von ihm erhalten. Mithilfe von Philip und seiner Verbindungen zum Militär war es ihnen vor einigen Wochen gelungen, eine Hochzeitseinladung an die französische Post zu überstellen. Bisher waren allerdings weder Tarin noch Zed oder Charlotte in England eingetroffen.
    Arian beendete Eibos Monolog mit einem Witz über Erasmus Darwin, einen britischen Arzt, der jüngst allen Ernstes behauptet hatte, die Menschen stammten von winzigen Muscheln ab. Die Zuschauer bogen sich vor Lachen.
    Unter ihrem stürmischen Beifall trat er ins Licht und verbeugte sich viele Male. Unversehens stand der Sergeant Major neben ihm und verkündete, dass sein Sohn Mike sich am Sonntag zu vermählen gedenke.
    Das gefiel den Leuten. Sie klatschten und jubelten noch lauter.
    Artig machte Arian weitere Bücklinge und warf Handküsse ins Publikum. Der Arbeit Lohn ist nur Geld, der für die Kunst der Applaus, pflegte sein Ziehvater zu sagen. In diesem Augenblick fühlte sich Arian reicher belohnt als je zuvor.
    Als er sich mindestens zum zwanzigsten Mal verbeugte, bekam er eine Gänsehaut. Es war kein wohliger Schauer, sondern etwas Grauenhaftes, dass die Freude mit einer Flut dunkler Ahnungen wegschwemmte. Er spürte wieder dieses Ich-fühle-mich-von-jemandem-beobachtet-Gefühl, das er seit seiner ersten Begegnung mit Mister M. kennen und fürchten gelernt hatte. Diesmal galt seine Angst weniger sich selbst als Mira. Hoffentlich ging es ihr gut .
    Noch in der Verbeugung hob er den Blick und sah sich um. Es fiel ihm schwer, dabei zu lächeln. Die große Menge von Besuchern und die Dunkelheit machten es unmöglich, ein verdächtiges Gesicht zu entdecken. Er richtete sich auf, schob seine Lippen ans Ohr seines Adoptivvaters und raunte: »Lass uns sofort das Theater räumen. Morpheus ist hier.«

    Die meisten Lampen waren erloschen, das Amphitheater lag im Zwielicht. Arian stand immer noch in der Manege, während die letzten Gäste das Gebäude verließen. Clowns halfen ihnen mit Späßen und tollpatschigem Gehabe, die beunruhigende Mitteilung des Direktors leichter zu nehmen. Um niemanden zu gefährden, müsse man zügig das Theater räumen, hatte Philip dem Publikum mitgeteilt. Es bestehe kein Anlass zur Panik.
    Arian hatte seine Puppe beim Messerwerfer Tom gegen einen Degen und einen Dolch getauscht, weil er mit dem Schlimmsten rechnete. Er spürte die dunkle Präsenz des Metasomenfürsten nach wie vor. Morpheus wechselte ständig seine Position und blieb doch immer in der Nähe. Wahrscheinlich wartete er, lauerte wie ein Raubtier auf den passenden Moment, um zuzuschlagen. Warum nur war er Lizzie nicht aufgefallen?
    Mehr noch als seine wahr gewordenen Befürchtungen wühlte Arian etwas anderes auf: Sein Adoptivvater war so unaufgeregt. Morpheus kehrte zurück und er wirkte kein bisschen überrascht. Hatte er davon gewusst und seinen Ziehsohn abermals getäuscht? Ihn gar an den Fürsten verraten? Waren die Versöhnung im letzten Jahr und die vergangenen zwölf Monate nur eine einzige Lüge gewesen? Dieser Verdacht war wie ein giftiger Stachel in seiner Seele, der sie mit unsäglichem Schmerz überflutete.
    Arian schnaubte wütend, zog den Degen aus der Scheide und stieß ihn trotzig ins Sägemehl der Manege. Er musste den Kopf freibekommen, durfte seine Sinne, vor allem die Wahrnehmung für die Präsenz des Seelendiebs, nicht von Ärger, Enttäuschung und Zorn betäuben lassen.
    Und tatsächlich! Auf einmal spürte er Morpheus wieder intensiver, näher … Ein Geräusch im Rücken ließ Arian herumfahren.
    Da war, nur noch eine Armlänge entfernt, ein Harlekin. Eine zierliche Frau, wie man an ihren Rundungen unschwer erkennen konnte. Sie trug ein körpernahes, flickenübersätes Kostüm mit engen Beinkleidern in den Farben

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