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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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denen sich Arian abplagen musste. Die Mühsale des Alterns waren für ihn bis dahin etwas gewesen, das immer nur die anderen betraf, nichts worüber man sich in der Blüte der Jugend den Kopf zerbrach. Welcher Siebzehnjährige tat das schon? Trotz dieser Widrigkeiten lief er so schnell, wie sein hinfälliger Leib es zuließ, und das war nicht sonderlich schnell.
    Es war kühl und feucht, für alte Knochen das denkbar schlechteste Wetter. Der verfluchte Nebel hielt sich so zäh in den Gassen wie angebrannter Haferschleim auf dem Boden eines Kochtopfes. Wenn er wenigstens die Fackel mitgenommen hätte! Arian hatte nicht die geringste Ahnung, wo er sich befand. Immer noch irgendwo in Soho, nahm er an.
    Seine einzige Orientierung war die Präsenz des Seelendiebs, die er vor zwölf Stunden zum ersten Mal bemerkt hatte. Inzwischen war sie seltsamerweise umgeschlagen, sie fühlte sich nicht mehr so düster an. Vielleicht hing der »Duft« von der Stimmung des Swappers ab. Tiere konnten ja angeblich Angst und andere menschliche Gefühle wittern. Wieso also nicht auch er?
    Nachdem man Arian endlich hatte gehen lassen, war die Fährte des Körpertauschers schon fast erkaltet gewesen. Mit dem Mut der Verzweiflung hatte er sich trotzdem an die Verfolgung gemacht. Die Augen geschlossen, die Arme wie Fühler weit ausgestreckt, war er über den Soho Square gelaufen, bis die sonderbare Wahrnehmung auf einmal wieder stärker wurde. Von da an hatte er sich an der Spur festgehalten wie an einer Rettungsleine. Sie verband ihn mit dem Leben des Mike Astley, das man ihm gestohlen hatte.
    Sich hinter der Maske eines anderen zu verstecken, war vielleicht nicht das, was er sich für den Rest seiner Tage wünschte, doch wenigstens hatte er unter den Artisten im Amphitheater seines Ziehvaters ein Zuhause gehabt. Jetzt besaß er gar nichts mehr, abgesehen von diesem menschlichen Klappergestell, das sich Körper schimpfte.
    Und einem giftigen Stilett.
    Die Bewegung tat ihm gut. Je länger er marschierte, desto weniger schmerzten die Glieder. Sogar der krumme Rücken erholte sich. Für einen Buckligen hielt sich Arian inzwischen erstaunlich gerade.
    Die Anstrengung lohnte noch in anderer Hinsicht: Er holte auf. Immer stärker spürte er die Präsenz des Seelendiebs. Mittlerweile war es nach Mitternacht, und Arian rechnete jeden Moment damit, auf Hooters hünenhafte Gestalt zu treffen. Seltsam, dass der Unhold so langsam lief. Ob er irgendwo im Hinterhalt lag, um sich seines Verfolgers ein für alle Mal zu entledigen?
    Nur widerwillig verließ Arian das vom Nebel gedämpfte Licht einer größeren Straße, weil die Spur in eine ungepflasterte, finstere, stinkende Gasse führte. Ohne die Laterne wäre er wohl in ein Loch gefallen, das mitten auf dem Weg im Boden klaffte und nur durch ein Schild gesichert war. Er schüttelte den Kopf. Was nützte eine Warntafel, wenn man sie nicht sah?
    Nach etwa zwanzig Schritten stieß er gegen ein hölzernes Baugerüst. Über ihm rumpelte es bedenklich. Fluchend wich er bis an die Hauswand zu seiner Linken aus, jeden Augenblick damit rechnend, dass ihm ein Eimer oder Werkzeug aufs Haupt fallen würde.
    Als sich das wacklige Gestell wieder beruhigt hatte, lief er weiter. Er zog Zedekiahs Dolch aus der wohl eigens dafür in den Rock eingenähten Innentasche. Die Waffe steckte in einem Futteral aus festem Leder. In Turtlenecks Haus hatte er die spitze Klinge nicht ohne einen gewissen Schauder betrachtet. Ihr Querschnitt war dreieckig und eine klebrige, grünbräunliche Substanz haftete daran – offenbar Gift. Er würde das Stilett nur im Notfall benutzen. Hooters fleischliche Hülle war zu wertvoll, um sie leichtfertig aufzugeben.
    Nach etwa fünfzig Schritten stand Arian plötzlich vor einer Backsteinmauer. Vermutlich war er in eine Sackgasse geraten. Sein Herz stolperte vor Aufregung und sämtliche Härchen seines welken Körpers stellten sich auf. Der Seelendieb musste hinter dieser Wand sein. Arian zog den Giftdolch aus der Scheide und machte sich auf die Suche nach einem Durchgang, einem Fenster oder …
    Licht!
    Nur aus nächster Nähe war das gelbliche Leuchten zu sehen. Es schimmerte durch ein Schlüsselloch. Arian beugte sich vor, um hindurchzuspähen. Ein ziehender Schmerz fuhr ihm ins Kreuz. Stöhnend richtete er sich wieder auf und hielt sich den Rücken.
    »Ich will jung sein!«, klagte er leise.
    Beim zweiten Versuch blieb sein Oberkörper aufrecht. Ächzend ging er vor der Tür in die Knie. Ihm brach

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