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Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe

Titel: Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Melko
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können die Fäden Stück für Stück unter Spannung setzen und so einen Schaltplan ihrer Verbindungen anfertigen.«
    »Genau!« Graces Stimme überschlug sich vor Begeisterung. »Dann müssen wir nur noch ein Material entwickeln, das dieselben Eigenschaften hat wie diese Fäden, und – voilà! – schon haben wir das Gerät nachgebaut. Reverse Engineering vom Feinsten.«

    »Leichter gesagt als getan«, murmelte John.
    »Ist es nicht immer so?«, erwiderte Grace. »Also, fangen wir an!«
     
    Die Arbeit ging quälend langsam voran. Sie orientierten sich an einem stark vergrößerten Foto der großen und kleinen Marshmallows und arbeiteten sich langsam durch die einzelnen Knäuel, indem sie das schwache Leuchten eines jeden Fadens verfolgten, eine Spannung anlegten und den Widerstand maßen. Mit der Zeit wurde klar, dass die Fäden parallel oder seriell angeordnet sein konnten, ähnlich wie in normalen Schaltkreisen. Aber manchmal bildeten sie auch komplexe Muster, die John an die dreidimensionalen Gitternetze menschlicher Nervenzellen erinnerten.
    An diesem ersten Wochenende schafften sie es, tausend Fäden zu katalogisieren. Nach Johns Schätzung enthielt das Gerät mindestens hunderttausend. Doch mit der Zeit wurden sie immer schneller, und auch Johns Sorge, dass sie nicht an die Fäden im Zentrum der Marshmallows herankommen würden, erwies sich als unbegründet: Henry und Grace zeigten ihm, wie man die Fäden einfach mit der Pinzette verschieben konnte. Die Klumpen waren weder verklebt noch auf andere Weise wirklich miteinander verbunden.
    »Das wird’ne Weile dauern«, sagte Grace und wischte sich den Schweiß ab.
    John nickte. »Ich weiß. Aber einen besseren Weg gibt es nicht.«
    »Du sagst es.«
    »Und schneller können wir kaum sein«, meinte Henry. »Es kann immer nur einer in dem Gerät herumfummeln.« Er hatte nach und nach einen Schaltplan der Verbindungen angefertigt und jedes Element mit einem entsprechenden Code sowie Fotografien versehen.

    John blickte auf den Schaltplan, der schon jetzt wie ein undurchdringlicher Dschungel wirkte. »Früher oder später werden wir das hier in echte Bauteile umsetzen müssen.«
    »Ehrlich gesagt weiß ich nicht mal, wo wir anfangen sollen«, bemerkte Henry. »Das Zeichnen ist die eine Sache, aber …«
    »Vielleicht können wir ja ein paar Annahmen treffen.« John zählte die einzelnen Punkte an den Fingern auf. »Wir können annehmen, dass die Fäden homogen sind. Wir können annehmen, dass sie leitend sind. Und wir können eine gewisse elektrische Kapazität und einen gewissen Widerstand voraussetzen.«
    »Sie könnten auch Halbleitereigenschaften aufweisen«, meinte Henry.
    »Gute Idee! Das müssen wir herausfinden!«, rief Grace und hängte sich sofort eine Stunde lang ans Telefon. Bei einer kanadischen Firma, die auch sonntags geöffnet hatte, bestellte sie ein Oszilloskop, Transistoren, Dioden und Halbleitermaterialien mit verschiedenen Dotierungen. Schließlich sagte sie: »Buchen Sie die Gesamtrechnung einfach von meiner geschäftlichen Kreditkarte ab.«
    John blickte auf. »Wie viel kostet das Zeug?«
    »Ist das so wichtig?«, erwiderte Grace grinsend. »Ist nicht aller Reichtum der Welt wertlos, wenn man weiß, dass es da draußen unendlich viele Universen gibt?«
    Henry grunzte skeptisch. »Na ja. Wie viele ›Mona Lisas‹ gibt es da draußen? Wie viele Diamantenminen in Südafrika, die man hier noch nicht entdeckt hat? Wie viele Welten, in denen noch kein Mensch von Flipperautomaten gehört hat?«
    »Die materiellen Dinge verlieren ihren Wert«, erklärte Grace mit feierlicher Stimme, »sobald sie in unbegrenzter Fülle vorhanden sind. Das einzige Gut ist folglich das individuelle Glück.«

    »Eine ziemlich merkwürdige Betrachtungsweise für die Geschäftsführerin eines Unternehmens«, erwiderte John.
    Grace blickte ihn an. »Du hast eben alles umgekrempelt, John. Mal wieder.«
    Für dieses Wochenende machten sie Schluss. John hatte sich kein einziges Mal in der Flipperfabrik sehen lassen, denn plötzlich erschien ihm das alles nicht mehr so wichtig. Je länger er Charboric und Visgrath aus dem Weg gehen konnte, desto besser.
    Doch leider stand ein schwarzer SUV vor Johns Apartment, als er nach Hause kam. Charboric lehnte an dem Geländer vor dem Eingang und zog an einer Zigarre. »Schön, Sie zu sehen, Mr. Wilson. Kommen Sie, unterhalten wir uns ein wenig.«

35
    »Mr. Charboric.«
    »Man könnte fast meinen, dass Sie mir ausweichen.« Charboric

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