Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe
John musste schlucken, als Bill ihm den Schlüssel für das Vorhängeschloss in die Hand drückte. »Danke. Und falls jemand nach mir fragt …«
»Bist du nicht hier.« Bill schüttelte den Kopf. »Die Jugend heutzutage mit ihren Geheimnissen! Wahrscheinlich baust du da drinnen ein neues Flipflop-Imperium auf. Neulich hab ich gesehen, wie so ein junger Kerl sechs Dollar in Münzen
in eine eurer Maschinen gesteckt hat. Unglaublich! Und davon bekommt ihr einen Anteil ab?«
»Ganz genau.«
»Nicht schlecht, nicht schlecht.«
»Kann ich mal kurz telefonieren?«
John wählte die Nummer des Krankenhauses und fragte nach Caseys Zustand: Er war stabil, und eine Zimmernummer hatte man ihr mittlerweile auch zugeteilt. Kurz überlegte er, ob er Visgrath anrufen sollte, doch er entschloss sich dagegen. Noch nicht. Nicht, bevor er das Gerät in Sicherheit gebracht hatte. Nicht, bevor alles bis ins kleinste Detail durchgeplant war.
Nachdem er den Rayburns Gute Nacht gesagt hatte, steuerte John den Trans Am quer über die Straße und die Schotterpiste hinauf, die zur zweiten Scheune führte. Das Gebäude war nur noch ein schwarzer Umriss auf schwarzem Grund, ein Schatten, der beim Näherkommen mehr und mehr Sterne verdunkelte. Vor dem Tor ließ er den Motor laufen, stieg aus und öffnete das Vorhängeschloss. Es war am praktischsten, das Auto zum Auspacken kurz reinzufahren. Kiste über Kiste stapelte er neben der alten Werkbank auf, die er zur neuen Experimentierfläche auserkoren hatte.
Von den Deckenbalken hingen Spinnweben herab, eine trübe Glühbirne warf fahle Schatten auf Ställe und Scheunenboden. Er überlegte, was er noch alles benötigte: Verlängerungskabel, Lampen, einen Lötkolben, Lochrasterplatinen, Kabel und Drähte, je eine Schachtel Widerstände und Kondensatoren. Die Liste wurde immer länger.
Er brauchte eine Weile, um zu entscheiden, was er mit dem Gerät machen sollte. Schließlich steckte er es in den Rucksack, legte hunderttausend Dollar in Goldmünzen dazu und verbarg alles, so gut es ging, auf dem Scheunenboden.
Das Vorhängeschloss kam ihm überaus windig vor, als er die Scheune wieder absperrte. Er vergewisserte sich zweimal,
ob der Riegel auch fest genug saß. Dann stieg er ins Auto und fuhr mit Vollgas zum Krankenhaus in Toledo.
In einer Viertelstunde endete die Besuchszeit, aber irgendwie gelang es John, den Mann an der Rezeption davon zu überzeugen, dass er Casey unbedingt noch sehen musste. Mit pochendem Herzen betrat er den Aufzug und fuhr in den dritten Stock.
Stille und Dunkelheit lagen über der Station, abgesehen von wenigen erleuchteten Räumen, einem leise rauschenden Fernseher und dem Piepen der Maschinen. Am Ende einer Sackgasse stieß er endlich auf Caseys Zimmer. Auch dort war es dunkel. Vorsichtig schob er die Tür auf – und da lag sie: Casey, schlafend, aber offensichtlich am Leben.
Plötzlich stand eine Krankenschwester neben ihm. »Wer sind Sie?«
»Casey Nicholsons Freund.«
»Oh … Sie wissen doch, dass die Besuchszeit gleich vorbei ist?«
»Ja. Aber ich musste sie einfach sehen.«
»Das verstehe ich.« Die Krankenschwester schwieg für ein paar Sekunden. »Es geht ihr gut. Die Kugel wurde entfernt, und wir haben ihr etwas gegeben, damit sie schlafen kann. Kennen Sie Ms. Nicholsons Familie?«
»Ja, natürlich.«
»Wir haben bei der Universität angerufen, um sie zu kontaktieren. Aber bisher ist nur ihr Onkel aufgetaucht.«
»Ihr Onkel?« John wusste genau, dass sowohl Caseys Mutter als auch ihr Vater Einzelkinder waren.
»Ja. Er ist eben erst gegangen. Hat eine ganze Stunde bei ihr gewacht. Sagte, er werde ihre Eltern anrufen, aber das Telefon hat er kein einziges Mal angerührt.«
»Ein großer, blonder Mann?«
»Ja. Kennen Sie ihn?«
»Lassen Sie ihn nicht mehr rein!«
»Wie bitte?«
»Das war nicht ihr Onkel. War die Polizei schon hier?«
»Die Polizei? Ja, aber nur kurz. Sie wollten, dass wir anrufen, wenn sie aufwacht.« Ein leichtes Beben schlich sich in die Stimme der Krankenschwester. »Ist sie etwa in Gefahr? Ich … ich könnte den Sicherheitsdienst rufen.«
»Tun Sie das.«
Einen Moment lang geriet John in Panik. Warum hatte er das nicht vorausgesehen? Warum hatte er nicht gründlicher an Caseys Lage gedacht? Natürlich würden sie kommen, um ihr den Rest zu geben! Völlig entkräftet ließ er sich auf den Stuhl neben Caseys Bett sinken. Beim Anblick ihres blassen Gesichts wurde ihm speiübel. Man hatte auf sie geschossen – wegen
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