Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe
Er öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus in die Nacht. Nach und nach verlangsamte sich sein Puls, während er mit der schweren Oktoberluft die Gerüche der Farm einsog: Gülle und Mist. Stöhnend stützte er sich auf die Fensterbank, Gänsehaut auf den Armen.
Prime wusste, wo dieser Traum herkam. Er hatte in der Nähe des Lake Erie das Universum gewechselt, an einem kleinen, verlassenen Strand nahe Port Clinton. Doch auf der anderen Seite hatte sich eine Düne befunden – und er war mitten darin gelandet. Sofort bahnte sich der Sand seinen Weg in Primes Nase und Mund, und er wäre mit Sicherheit erstickt, wenn nicht ein Fischer seinen Arm gesehen hätte. Wäre die Düne nur einen halben Meter höher gewesen, hätte sein Arm nicht aus dem Sand geragt und Prime wäre an diesem Tag gestorben. Es war pures Glück, dass der Typ gerade in der Nähe war und seinen Kopf ausgrub. Seither war er nie wieder in der Nähe einer größeren Wassermasse oder eines Flusses übergewechselt.
Es war nicht das einzige Mal gewesen, dass er Todesängste ausgestanden hatte. In Columbus, Ohio, landete er direkt in einer Betontreppe. Da er bis zur Brust feststeckte, kam er nicht an das Gerät heran und musste warten, bis ein Passant die Feuerwehr rief. Sie befreiten ihn dann mit einem Presslufthammer. Und als sie wissen wollten, wie er in diese Lage geraten war, täuschte er eine Ohnmacht vor und transferierte aus dem fahrenden Krankenwagen heraus.
Seit diesem Erlebnis hatte Prime jedes Mal Angst. Jedes Mal, wenn er den Hebel umlegte, befürchtete er, in einem festen Objekt zu landen, in dem er nicht mehr atmen, sich nicht mehr bewegen konnte, unfähig, per Knopfdruck zu fliehen. Wenn er das Universum wechselte, drehte sich ihm stets der Magen um, lief ihm kalter Schweiß den Rücken hinunter.
Welche Ironie des Schicksals: Zwar hatte er das mächtigste Instrument des Multiversums besessen, doch es war defekt gewesen.
»Nie wieder«, sagte er sich, während er in die Nacht hinausblickte. »Nie wieder.« Schließlich hatte er jetzt wieder eine Familie und überhaupt viel mehr, als er je zu träumen gewagt hatte.
Die Auseinandersetzung mit seinen Eltern hatte heftig begonnen, doch am Ende waren sie sich alle heulend in den Armen gelegen. Er hatte vorgehabt, stark und männlich aufzutreten, hatte seinen Eltern beweisen wollen, dass er jetzt erwachsen war und sie nicht mehr brauchte, doch angesichts ihrer aufrichtigen Liebe war seine Entschlossenheit dahingeschmolzen. Und ja, er hatte geweint, verdammt nochmal!
Aber nicht nur das. Prime hatte versprochen, noch einmal über den Brief nachzudenken. Und Gushman aufzusuchen. Hatte seinen Eltern versprochen, rücksichtsvoller mit ihnen umzugehen. Verwandelte er sich etwa langsam in Johnny Farmer?
Als er schließlich ins Bett gegangen war, hatte Prime sich müde und ausgelaugt, aber im Frieden mit sich selbst gefühlt. Doch sein Unterbewusstes hatte ausgerechnet diesen Traum aus den Tiefen der Erinnerung hervorgeholt. Wieder erstickte er, wieder würgte er mit brennenden Lungen, während sein Körper in einem steinernen Grab festsaß.
Prime schüttelte sich und schloss das Fenster. Er hatte seine ganze Körperwärme an die kühle Nachtluft abgegeben. Schnell schlüpfte er wieder ins Bett und schloss die Augen. »Scheiß drauf«, flüsterte er in die Dunkelheit. »Dann werde ich eben zu Johnny Farmer.«
Den nächsten Tag über half Prime seinem Vater bei der Arbeit auf der Farm. Eine Art Wiedergutmachung dafür, dass er sich so aufgeführt hatte. In ihren Augen war er immer noch der liebe kleine Johnny, weshalb er sich entsprechend verhalten musste – zumindest bis seine Projekte richtig in Fahrt kamen.
»Dad, kann ich mir am Samstagabend den Pick-up ausleihen?«, fragte Prime, als sie den Bohlenzaun um die Weide ausbesserten.
Mit breitem Lächeln ließ sein Vater den Hammer sinken. »Hast eine Verabredung am Samstag, wie?« So wie er es sagte, glaubte er anscheinend nicht, dass dabei ein Mädchen im Spiel war.
»Ja. Ich gehe mit Casey Nicholson aus.«
»Mit Casey?« Sein Vater fixierte die nächste Bohle, während Prime sie mit Hammer und Nägeln befestigte. »Nettes Mädchen.«
»Wir gehen ins Kino. Ins Bijou.«
»Bijou? Wo soll das denn sein?«
Prime verfluchte sich innerlich. »Ins Strand, meine ich.« Wenn er so weitermachte, würde das nicht lange gutgehen.
Dabei wusste er aus Erfahrung, dass das Kino immer einen von drei Namen hatte: Palace, Bijou oder Strand.
»Ach
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