Die Maurin
platzte er hinein, stellte die Kerze auf dem Nachttisch ab und riss seinem schlafenden Bruder die Decke weg. »Los, komm, ich habe sie gefunden. Sie ist im Palastkerker eingesperrt. Keine Ahnung, wieso ich das nicht früher erfahren habe, denn mein Mittelsmann hat sich dort schon mehrmals umgehört. Und jetzt steh endlich auf, zum Donner. Allein bekomme ich sie da nicht heraus!«
Gonzalo rieb sich die Augen. »Wie? Was? Von wem redest du?«
»Von wem schon? Von Zahra natürlich!«
Gonzalo zog sich hastig an. »Aber du hast doch geschrieben, sie wäre tot!«
»Inzwischen sieht es eher danach aus, als ob jemand wollte, dass wir das glauben.« Er blickte sich um, entdeckte die Stiefel seines Bruders und warf sie ihm hin. »Nun mach schon, wir müssen sie noch heute Nacht da rausholen!«
»Ehrlich gesagt, wundert es mich, dass du mir nun doch hilfst.«
»Nicht mehr als mich, nehme ich an«, knurrte Jaime. Er hielt seinem Bruder das Schwert hin und polterte mit ihm die Treppe hinunter.
Die Schreie und Flüche im Aufenthaltsraum der Wächter, der über dem Kerkerzimmer lag, riss die Frauen aus dem Schlaf. »Was ist da los?«, rief Zahra und drückte bang ihr schlafendes Kind an sich.
»Keine Ahnung«, murmelte Conchita. Sie rappelte sich hoch, eilte an die Tür und legte das Ohr dagegen. Der Lärm oben schwoll weiter an, ein Schrei erstickte in ächzendem Gurgeln, dann hörten sie, wie die obere Tür aufgerissen wurde und jemand die Treppe herunterpolterte. Erschrocken wichen die Frauen in den hinteren Teil des Kerkers zurück und zogen Zahra, die noch immer sehr schwach war, mit sich. Im gleichen Moment flog die Kerkertür auf. Einige von ihnen stießen spitze Schreie aus, andere begannen zu weinen oder zu beten, Zahra sank in sich zusammen und breitete ihren Oberkörper schützend über ihr Kind. Jemand hielt ihnen eine Öllampe entgegen. Der helle Lichtschein blendete die Frauen so sehr, dass sie die Hände vor die Augen hoben. Keine von ihnen konnte erkennen, wer hinter der Lampe stand.
»Ist eine Maurin unter Euch?«, donnerte eine Männerstimme.
»Nein, wir sind alle Kastilierinnen«, gab Conchita mit bebender Stimme zurück und schob sich direkt vor Zahra, die Allah in einem stummen Gebet bat, Abdarrahman nicht gerade jetzt aufwachen und weinen zu lassen.
»Aber sie muss hier sein!«, donnerte der Mann weiter, und nun erkannte Zahra seine Stimme. Ein Zittern durchfuhr sie. Im ersten Impuls wollte sie sich erheben, sich an Conchita vorbeidrücken und zu Jaime gehen, aber seine Stimme klang so zornig, so aufgebracht …
Ein zweiter Mann kam hinzu. »Zahra, Zahra, bist du hier?«
Auch diese Stimme erkannte Zahra: Sie gehörte Gonzalo. Und vor ihm wagte sie noch weniger, sich bemerkbar zu machen.
Jaime ging zu den Frauen und hielt einer nach der anderen die Lampe vor das Gesicht. Schließlich entdeckte er auch das zusammengekrümmte Bündel hinter Conchita. »He, du da. Heb den Kopf, damit ich dich ansehen kann!«
Erst als er ihr gegen das Bein trat, tat Zahra, wie er sie geheißen hatte. Ihre Blicke trafen sich. Wie gebannt blickte er sie an und sie ihn – bis sie ohnmächtig zur Seite sackte.
An das Folgende hatte Zahra später nur bruchstückhafte Erinnerungen. Sie entsann sich der erschreckten Schreie der Frauen: »Das Kind, mein Gott, passt auf das Kind auf!«, dann spürte sie Männerhände, die sie umfingen, und Frauenhände, die das Kind von ihrem Schoß zogen. Sie hörte Abdarrahman weinen, konnte sich aber nicht aus den dunklen Wolken ziehen, die sich in ihrem Kopf ausgebreitet hatten, und als sie das nächste Mal zu sich kam, spürte sie einen um sich geschlungenen, starken Arm und nahm wie in Trance wahr, dass sie auf einem in rasantem Tempo galoppierenden Pferd saß. Schemenhaft erkannte sie eine von der Seite auf sie zustürzende Truppe brüllender Soldaten, dachte an ihr Kind, konnte es nicht an ihrem Körper spüren, schrie seinen Namen – dann schlug die Schwärze wieder über ihr zusammen.
Erst als jemand sie auf eine nasskalte Wiese legte und ihr einen zusammengefalteten Umhang unter den Kopf schob, kam Zahra wieder zu sich. Sie schlug die Lider auf, blickte in die Augen von Jaime, die ihr im Mondlicht nicht grün, sondern schwärzer als der Nachthimmel erschienen, und spürte seine Wut so deutlich, als peitsche er sie mit einer neun-schwänzigen Katze. Nicht weit von sich hörte sie ein Baby wimmern. »Mein Kind«, flehte sie. »Bitte, gebt mir mein Kind …«
Jaime
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