Die Maurin
regen, dass sie hätte aufschreien können. Kurz darauf blieb der Wagen plötzlich stehen – und Zahra erstarrte.
»Ich hole Getreide bei den Christen«, hörte sie Jaime in einem seltsamen arabisch-spanischen Mischmasch sagen.
»Passierschein!«, knurrte ein Kastilier.
Papier raschelte.
Seid ruhig, ruhig!, flehte sie ihre Kinder in Gedanken an und bekam zugleich so akute Luftnot, dass sie zu ersticken glaubte, und all ihre Willenskraft aufbieten musste, um nicht sofort die Decke von sich zu werfen. Ihr Hals wurde trocken, kitzelte, und sie verspürte das dringende Bedürfnis zu husten oder sich wenigstens zu räuspern; von der Anstrengung, dies zu unterdrücken, bekam sie einen solchen Druck in die Augen, dass sie das Gefühl hatte, sie würden ihr gleich herausspringen. Als sie schon meinte, es nicht mehr länger aushalten zu können, murrte der Kastilier: »In Ordnung, weiterfahren!«
Der Wagen ruckte an, und wieder maunzte Chalida.
»Pst!«, zischte Abdarrahman seine kleine Schwester an. Reflexartig presste Zahra den Kindern die Hände auf den Mund. Ein Luftzug kroch von ihrem rechten Fuß am Bein hoch, und ihr wurde klar, dass sich die Decke bei ihrer heftigen Bewegung verschoben haben musste. Sie wagte jedoch nicht, den Fuß anzuziehen, weil sie Angst hatte, die Decke noch mehr zu verziehen. Schweiß tropfte ihr von der Stirn, ihr Körper kribbelte, als seien Horden von Ameisen darin unterwegs, und ihre Luftnot wurde noch beklemmender. Sie war sich sicher, dass jeden Moment jemand ihre aufgedeckte Fußspitze entdecken und den Wagen anhalten würde. Sie sah es vor sich, wie die Soldaten sie vom Wagen zerren würden, sie schlugen, die Kinder herumrissen und misshandelten, und an ihrem Gesicht rannen jetzt außer Schweiß auch Tränen herab. Plötzlich hielt der Wagen. Zahra biss sich in den Oberarm, um nicht aufzuschreien.
»Steigt ab«, rief jemand. Zahra konnte sich nicht rühren. Sie war wie eingefroren. Da zog jemand die Decke weg. Zahra schrie auf und krümmte sich über ihren Kindern zusammen. Jaime sprang auf den Wagen und zog sie an sich. »Alles ist gut, Zahra, ich bin es nur, so beruhige dich doch!«
»Ich … ich hatte solche Angst«, schluchzte Zahra und konnte sich nur langsam beruhigen. Sie nahm wahr, dass ihre Schwester auf dem Nachbarwagen ebenfalls weinte. Mahdi aber sprang strahlend wie ein Held aus seinem Korb heraus; sein Gesicht blitzte vor Abenteuerlust. Breitbeinig baute er sich auf seinem Wagen auf, musterte Zahras Kinder und fragte Abdarrahman, ob er eigentlich wisse, dass er sein Onkel sei. Abdarrahman setzte sich auf, sah ihn an und brummte erstaunt: »So klein ist ein Onkel?«
Trotz ihrer Tränen mussten Zahra und Zainab lachen. Doch dann trieb Raschid sie zur Eile. Er erklärte ihnen, dass sie sich in einer nahe gelegenen Höhle verbergen sollten, wo er sie am Abend abholen würde. »Bis dahin müsst ihr leider ohne Essen auskommen.«
»Wir haben schon mehr als nur ein paar Stunden ohne Essen überstanden«, erinnerte Jaime ihn und schlug mit den Frauen und den Kindern den von Raschid angewiesenen Weg ein.
4.
Seidenfarm
1 . November 1487
R aschid begleitete Jaime, seine Geschwister und ihre Kinder auf die Seidenfarm, die seit dem Tod des Vaters ebenso wie das Stadthaus in Granada ihm, Zahra und Mahdi gehörte. Yazid war von Abdarrahman nach seiner Gefangennahme durch ihn als Erbe ausgeschlossen worden; Hayat ebenfalls, allerdings hatte er Raschid in seinem Letzten Willen zur Auflage gemacht, stets gut für seine Halbschwester zu sorgen, wenn er je herausfände, wo sie sich aufhielt. Als die Gruppe in den Hof einritt und Zahra ihr Zuhause vor sich sah, schoss eine solche Freude in ihr hoch, dass alle Anstrengungen der Reise schlagartig von ihr abfielen. Sie sprang von ihrem Pferd, drückte Raschid Chalida in die Arme und rannte ins Haus. Die Erste, die sie dort antraf, war Tamu. Zahra warf sich in ihre Arme, küsste sie stürmisch auf beide Wangen und drückte sie so fest, dass Tamu lachend um Gnade flehte. »Ihr schnürt mir ja die Luft ab!«
»Ach Tamu, mein Gott, Tamu«, rief Zahra. »Ich bin ja so froh, dich wiederzusehen!«
Ohne falsche Scham wischte sich die alte Berberin ein paar Tränen von den Wangen. »Der Herr hatte Eure Ankunft schon angekündigt, aber trotzdem, Euch jetzt in den Armen zu halten und zu sehen, dass aus meinem Mädchen eine erwachsene Frau geworden ist …« Wieder wischte sie sich über die Wangen.
Inzwischen war Raschid zu ihnen
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