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Die Maya-Midgard-Mission

Die Maya-Midgard-Mission

Titel: Die Maya-Midgard-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Sieberichs
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Doch vor allem und zuerst war es eine Trauer um sich selbst. Die Verzweiflung, ungewollt und unfreiwillig in ein neues Leben gestürzt worden zu sein, der Handlungsfreiheit ebenso beraubt, wie der vermeintlichen Sicherheit des gewohnten Alltags. Daria hatte keinen Blick für die bereits wieder sprießende Üppigkeit des karibischen Lebensraumes, der nun der ihre war. Sie merkte nur, dass ihre Füße vom Aufstieg in den dünnen Ledersandalen schmerzten. Aber der Gedanke an ihre noch nicht zuende gedachte Analyse, vertrieb die Schmerzen schnell.
    Plötzlich wurde ihr klar, dass diese Trauer nicht nur Trauer um den Tod ihrer altbekannten Welt sein konnte, ja, nicht einmal Trauer um einen Tod überhaupt, sondern auch etwas von dem Schmerz einer Geburt hatte. Ja, es war eine Geburt, die sie erlebten. Daher rührte ihre Angst und Unsicherheit, das Gefühl nicht weichend wollender Bedrohung. Durch den vernichtenden Sturm waren sie alle in ein neues Leben und einen bis dato unbekannten und unerforschten Lebensraum voll unabschätzbarer Risiken hineingeboren worden. Doch war eine Geburt nicht immer so? Musste nicht jedes Neugeborene sich fürchten? Wer würde sich nicht fürchten? Verstoßen aus der warmen Geborgenheit des Mutterleibs, in eine kalte Welt mit unbekannten Sin-neseindrücken. Für einen Moment erschauerte Daria Delfonte wieder. Doch dann begriff sie die große Chance, die sich ihnen bot, und der Mut und die Zuversicht kehrten zurück. Sie alle waren Neugeborene. Die Inselnatur war ihre Mutter, von ihr konnten sie Hilfe, Geborgenheit und Liebe erhalten, wenn sie nur bereit waren, zu lernen, ebenfalls zu lieben, mit zuversichtlicher Gelassenheit an die Herausforderungen heranzutreten. Das mussten sie tun. Und es würde Darias Aufgabe sein, alle anderen Überlebenden mit dieser Einsicht zum Hoffen und zum Weitermachen zu animieren.
    Als sie und ihre Begleiter erschöpft und zerschunden zum Gros der Gruppe aufschlossen, das sich nun auf den südlichen Hängen des Cornucopia zum Gipfel vorarbeitete, brach die Dunkelheit herein – urzeitliche Dunkelheit. Diese Nacht wurde weder von Sternen- noch Mondlicht erhellt. Auch das Meer umschlang Aurora schwarzschäumend und gab keinen Widerschein von irgendwas. Sie hatten keine Taschenlampen, nur nasse Kerzen und die klamme Kälte krallte sich mit eisigen Fingern in die Urlaubsbekleidung der Aureolen, als wolle sie das letzte Fünkchen Wärme und Lebenswillen löschen wie die Wasserwalze den Vulkan von Devils Darling. Die von einer Katastrophe nach der anderen heimgesuchten Menschen stolperten verzweifelt über ein Steinfeld, tasteten sich Meter um Meter vorwärts, bildeten Hand in Hand eine Kette, um sich nicht hoffnungslos zu verlieren und fanden schließlich Schutz unter einem Überhang, der jedoch eher aus rostigem Metall denn aus Felsgestein zu sein schien. Niemand fand die Energie, die näheren Umstände zu klären. Die Menschen rückten eng aneinander, nahmen die Nacht zitternd, durchnässt und hungrig an und fügten sich in das Unvermeidbare. Selbst Saba und Brontë schwiegen erschöpft. Das Singen war ihnen ebenso vergangen, wie die Zuversicht auf den neuen Tag. 'Ve goin wet, ve goin wise, ve goin endless paradise', war nicht einmal mehr Verheißung.
    Daria lag auf einer nassen Decke neben Virginia Gluth, die leise schnarchte und lauschte. Sie hatte ihre Hände hinter dem Nacken ve rschränkt, der Kopf ruhte auf ihren Handflächen. Sie horchte in die Stille des Morgengrauens, aber alles, was sie hörte, war das Rauschen ihres eigenen Blutes. Dann erinnerte sie sich an den zweiten Weltuntergang binnen einer Woche, krümmte behutsam ihre klammen Glieder und registrierte anhand des leisen Knackens ihrer Knochen, dass sie noch am Leben war. Je länger sie den Geräuschen des beginnenden Tages lauschte, umso bedrohlicher wurde das Ausmaß der Stille. Kein Vogelgezwitscher, kein Säuseln des Passatwindes in Baumkronen, kein Morgengruß eines vorwitzigen Waschbären, die nach Brontës Aussage vor dem Großen Sturm eine wahre Plage gewesen waren. Beinahe erleichtert hörte sie im Hintergrund Dom im Gespräch mit Caldera, die beide trotz der vorangegangenen Ereignisse noch genügend Kraft für ein Wortgefecht zu haben schienen. Vielleicht träumte sie auch noch.
    " Kann ich mir nicht vorstellen, Caldera", murmelte Domnall O'Domhnaill. "Wir hier auf Aurora die einzigen Überlebenden einer gigantischen, weltweiten Katastrophe? Eines Krieges gar? Warum wir? Welchen Sinn hätte

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