Die Maya-Midgard-Mission
Herz einen Hüpfer machen, der sich eher wie ein Dreifach-Salto anfühlte.
Es war ein sehr spezieller Abend, den sich Daria für das Ende ihrer Diaspora ausgesucht hatte. Die Lady Godiva ehemals Cuttlefish lag komplett überholt und repariert am Anleger und tänzelte nervös und tatendurstig wie ein Rennpferd auf der kabbeligen See. Carlos Caldera und Virginia Gluth wollten sich einschiffen und mit fünf Gefolgsleuten die Zivilisation ansteuern. Guillaume Raboux ging ohne seine Frau und ohne Brille an Bord und auch Britta und Lars Gustafsson waren unter denen, die das Ungewisse der See dem Ungewissen ihres Kleinkontinents den Vorzug gaben. Die Verabschiedung ging schnell und unsentimental über die Bühne. Die Emotionen waren schon lange zuvor abgekühlt. Alle wussten, dass dieser Abschied ein endgültiger sein konnte, doch jeder hatte seine Entscheidung nach reiflicher Überlegung getroffen.
Als die Lady Godiva unter vollen Segeln in eine orangerote Abendsonne hineintauchte, versprachen Daria Delfonte und Domnall O'Domhnaill sich in einer schlichten Zeremonie das Vertrauen. Als Zeichen ihrer Liebe schmückten sie sich mit einem Kranz aus prachtvollen Crotonblüten, den Saba für sie geflochten hatte.
Domnall küsste seine Frau zart auf die Schläfe und reichte ihr eine handgeschnitzte Holzdose. "Du hattest Recht", flüsterte er. "Die Zeit für mein Kreuz war abgelaufen... Nun, sieh selbst!"
Daria öffnete die Dose mit bebenden Fingern. Eine glitzernde, kleine Sonne fing die letzten Strahlen ihres himmlischen Ebenbildes auf und erglühte in kräftigem Gold, als wolle sie das Licht speichern. "Die Sechste Sonne!", murmelte sie und fühlte sich auf einmal von einer majestätischen Größe, als würde ihr Körper ins Unermessliche wachsen. "Ich habe die Bücher beinahe vollständig übersetzt. Ihre Botschaft ist überwältigend, Dom. Vor tausend Jahren wäre die Atombombe noch der Untergang der Menschen gewesen", fuhr sie leise fort. "In unserem Jahrhundert war sie ein Prüfstein und morgen lernen wir vielleicht, eine Atombombe der Liebe zu bauen, versuchen eine Kernschmelze von Verständnis, Toleranz und Liebe zu bewirken, um unser Sein durch diese ungeheuren Energien, die in jedem von uns schlummern, positiv zu gestalten. Und wir können es schaffen, wir sind auf dem Wege dazu, wenn wir uns nicht ablenken lassen, wenn der Schnickschnack unserer materiellen Scheinwelt uns nicht zu belämmert macht, das Ziel zu sehen, wenn wir nicht die Fehler der Kolumbus' und Nelson, ja, meinen eigenen Fehler wiederholen, die Sechste Sonne als Berg von Gold miss zu verstehen, wenn es uns endlich gelingt, ihr wahres Wesen zu erfassen. Die Sechste Sonne schlummert in uns, in jedem einzelnen von uns. Unser Bewusstsein ist die Sechste Sonne – und die erste, und die zweite, und die dritte und vierte und jede weitere. Das ist die Botschaft der Maya; das ist das einzige, das wahre Wesen der Sechsten Sonne. Sie wird aufgehen und uns wärmen, wenn wir das wollen, wenn wir endlich erkennen, welche ungeheuren Energien in uns wohnen, mit deren Hilfe wir unser und das Sein aller bescheinen können, wie die Sonne unseren Planeten und unser System bescheint. Die Sechste Sonne sind wir, sie ist in uns, ihre Kraft und Wärme bildet unsere Aura. Wir müssen ihr nur erlauben, aus dem Dunkel unserer Irrungen und Ängste hervorzutreten, wir müssen endlich verstehen, dass wir uns selbst zufügen, was wir dem geringsten des Alles-was-ist antun. Die Sechste Sonne sind wir. Und wenn wir nicht an ihren Aufgang glauben, wird sie für uns niemals aufgehen. Nur wenn wir verstehen, dass sie weder ein Handbuch zum Überleben auf einer Insel ist, noch ein Eldorado der Selbstsucht, noch ein Paradies des blinden Konsumwahns, noch ein Himmel egozentrischer Schrankenlosigkeit oder religiöser Beschränktheit, erst wenn wir sehen, dass Alles-was-ist auch aus uns und unserem inneren Selbst erwächst, wird die Sechste Sonne am Firmament unseres Selbstverständnisses auftauchen und den Horizont der von uns wahrnehmbaren Realität mit ihrem goldenen Licht erleuchten."
Daria schwieg erschöpft. Sie spürte wie ein erster Sonnenstrahl aus der Tiefe ihres inneren Selbst den Weg nach draußen gefunden hatte und ihren Mann in ein weiches Licht hül lte. Sie konnte nur hoffen, dass die Aureolen es auch spürten. Hoffen und wissen. Sie wusste, dass es eines Tages geschah. Daria rieb das geschmolzene Gold zwischen ihren Fingerkuppen und schmiegte sich eng an den Mann, den
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